Museums-Serie Wie aus Abfall und Fundstücken Kunst wurde

Serie | Krefeld · Wir stellen Räume der neuen Sammlungspräsentation der Kunstmuseen Krefeld vor: Diesmal „Moderne Natur“ und „Kunstkammern der Moderne“.

 Jean Tinguelys „Olympia“ aus 1960 wirkt wie ein fremdartiges Metallwesen inmitten der Besucher des Raumes „Moderne Natur“ der Sammlungspräsentation im Kaiser-Wilhelm-Museum.

Jean Tinguelys „Olympia“ aus 1960 wirkt wie ein fremdartiges Metallwesen inmitten der Besucher des Raumes „Moderne Natur“ der Sammlungspräsentation im Kaiser-Wilhelm-Museum.

Foto: Andreas Bischof

Der Titel „Fast nichts daran gemacht und trotzdem gut“ für ein Kunstobjekt des Wiener Künstlers Curt Stenvert aus dem Jahr 1965 könnte emblematisch für diesen Teil unserer Serie zu der neuen Sammlungspräsentation der Krefelder Kunstmuseen stehen. In der Serie stellen wir in loser Folge, mal einzeln, mal gruppiert die thematisch abgrenzbaren Räume der Ausstellung „Sammlung in Bewegung – 15 Räume 15 Geschichten“ im ersten Obergeschoss des Kaiser-Wilhelm-Museums vor.

Diesmal befassen wir uns mit zwei Räumen, die jeweils in ihrer eigenen Nuance eine sehr besondere Art der Vorstellung von Kunst präsentieren. Eine Weise der Kunstproduktion, bei der es mehr um das Finden, Zusammentragen, Sammeln und in neuen Kontext setzen geht. Wobei das Wort Produktion, das ohnehin nicht recht zu Kunst passen will, hier auf besonders schöne Weise bisweilen fast etwas frech ad absurdum geführt wird.

Die Kunstrichtung entstammt
der Mitte des 20. Jahrhunderts

Sowohl die Arbeiten im Raum „Kunstkammern der Moderne“ als auch das was in dem Bereich „Moderne Natur“ zu sehen ist, haben ihre Wurzeln im gleichen Phänomen, dessen Manifestation sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts verorten lässt. Es mag einen künstlerischen Sud, eine Urmasse an kreativer Kraft gegeben haben, die gerade in den 1950er und 1960er Jahren einen Grad der Gärung erreicht hatte, dass aus ihr heraus beachtliche Strömungen eines neuen Kunstverständnisses erwachsen konnten. Strömungen aus der gleichen Keimzelle. Diese ist eine emphatische Reflexion der Spuren unseres modernen Lebens.

Der Schaum, der sich am Rande des großen Flusses der Zivilisation sammelt, vielleicht auf den ersten Blick so gar nichts Kunstvolles an sich hat, wurde von Künstlern, die sich „Les Nouveaux Réalistes“, also die neuen Realisten nannten, gefiltert und für ihre Kunst nutzbar gemacht.

Spuren, nicht selten Abfälle unseres oft auch technisierten manchmal auch in skurrilem Ausmaß zivilisierten Alltags. Spuren, die losgelöst von ihrer ursprünglichen Sinnhaftigkeit, für den Künstler aber eine wunderbare Gelegenheit boten, die Materialien, die andere wegwarfen, zu „recyclen“ und für neue Inspirationen zu nutzen. So sehr heutige Kreative bisweilen die Neuartigkeit ihrer „Recycling-Kunst“ propagieren, so sehr ist diese Idee eine von bedeutenden Figuren der Kunstgeschichte wie Jean Tinguely, Arman oder auch Daniel Spoerri durchexerzierte ästhetische Position – aber das nur am Rande.

 In dem Raum „Kunstkammern der Moderne“ finden sich „Schaukästen“, wie etwa das Werk Curt Stenverts „Fast nichts daran gemacht und trotzdem gut“ aus 1965: Eine Spieluhr, Fotos des Künstlers in einem Intarsienkasten.

In dem Raum „Kunstkammern der Moderne“ finden sich „Schaukästen“, wie etwa das Werk Curt Stenverts „Fast nichts daran gemacht und trotzdem gut“ aus 1965: Eine Spieluhr, Fotos des Künstlers in einem Intarsienkasten.

Foto: Andreas Bischof

Beide Räume atmen den Geist der Nouveaux Réalistes um den Kunstkritiker Pierre Restany – zu der Gruppe gehörte übrigens auch Yves Klein. In beiden Räumen finden wir Exponate, die Gefundenes und Gesammeltes nehmen und durch neuen Kontext durch Zusammenfügen oder Umdeuten, durch Verändern und mit Bedeutung aufladen ästhetisieren. Also zunächst völlig belanglose Gegenstände zu Kunst machen. Wobei der Begriff „belanglos“ hier irreführend ist, denn hat nicht nahezu jeder Gegenstand eine an ihm anhaftende Erinnerung, eine Geschichte, sei sie auch so banal und kurz, zu erzählen?

In dem einen Raum („Moderne Natur“) finden wir eben jene „Natur“ der Zivilisation, die uns Umgibt als Material, als Fundgrube für Kunst. Da gibt es Künstler, die etwa Plakate von Mauern reißen (Hains, Rotella, de la Villeglé) oder Haarspangen in einer Box anhäufen (Arman) oder eben sonderbar „lebendig“ wirkende Gebilde aus verrosteten Maschinenteilen zusammenschweißen – wie auch in den an der Wand des Raumes nachlesbaren Begleittexten beschrieben.

So tritt etwa Tinguelys „Olympia“ aus 1960 fast wie ein wesenhaftes Gegenüber mit dem Betrachter in einen Dialog. Das metallische Gebilde wirkt ein wenig wie ein lebendiger Organismus aus Drähten, Stängchen, Blech und Metall. Der Name „Olympia“ lässt die Fantasie schweifen, die die so filigran wirkenden Metallstäbchen, die zeitgleich auch an bedrohliche Greifarme eines drahtigen Wesens erinnern, sind Bruchteile einer Schreibmaschine der Firma Olympia. Dennoch ist der „Haufen Schrott“, wie viele auch teilweise elektrisch bewegbare Maschinen Tinguelys, viel mehr als nur das, was dort real an Materie vorhanden ist.

Viele Exponate wecken nostalgische Assoziationen

Die tieferliegenden nostalgischen Schichten dieser Kunst, die sich übrigens in der Filmkunst Jacques Tatis spiegelt, die vergleichbare ästhetische Grundmuster aufweisend mit Polen von Gesellschafts- und Zivilisationskritik spielt, zugleich meisterhaft mit der Emotion der Sehnsucht hantiert, erschließen sich mal schlagartig, mal subtil.

Mit diesen Momenten spielen die Exponate auch, die in „Kunstkammern der Moderne“ ausgestellt sind. Doch hier steht das Sammeln und das Bestücken von „Schaukästen“ im Fokus. Das Gefundene und die daran hängenden Erinnerungs-Schichten, die natürlich von Betrachter zu Betrachter wechseln, fügten hier Künstler zu kleinen „Geschichten“ zusammen. Etwas enigmatisch ist es schon, wenn plötzlich Gegenstände in einem Kasten sind, die erst auf den dritten Blick miteinander in Kontext gesetzt werden können. Und der Kasten selbst Teil des Bedeutungsdialogs wird.

Und wieso überhaupt haben die Künstler just diese Dinge miteinander in einen Kasten oder ein ähnliches Gebilde gepackt? Wie ein sammelndes Kind, das seine „Schätze“ in Opas Zigarrenkiste hütend aufbewahrt. Und wieso etwas für den Einzelnen bedeutend ist, das können Außenstehende nur erraten. Genau dieses Ratespiel macht diesen Raum so faszinierend. Hier begegnen uns Meister wie der belgische Künstler Marcel Broodthaers oder auch der Amerikaner Joseph Cornell. „Er legt eine breite Sammlung an Fundstücken und Naturalien an, die er nach Kategorien wie Vögel, Muscheln, Gläser, Briefmarken sortiert. Aus diesem Fundus heraus bestückt er seine Schaukästen“, heißt es unter anderem im Begleittext zu diesem Raum.

Semantische Verknotungen, die subkutan etliche Portion Wiener, zwischen Weinen und Lachen changierenden, Humor in sich tragen, liefert eben auch der Künstler, den wir an erster Stelle erwähnten: Curt Stenvert, dessen Arbeiten eine wahrhafte Entdeckung dieses Raumes sind. Voller Ironie unterlaufen sie wie ästhetische Guerilla bürgerliche Sehgewohnheiten. Und das, obwohl er „fast nichts daran gemacht hatte“.

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