Wie dreimal Dada Sinn ergibt

Bei Kunsthochdrei drehte sich diesmal alles um Dadaismus — Jörg Reimers sprang für Mechthild Großmann ein.

Wie dreimal Dada Sinn ergibt
Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Dieser „Dada“-Abend hatte mehr als eine Überraschung auf Lager. Zum 100. Geburtstag der Antikunstbewegung sollte Mechthild Großmann im Von der Heydt-Museum lesen. Die Schauspielerin habe leider abgesagt, sagte Veranstalter Lutz-Werner Hesse zu Beginn. Ein enttäuschtes Raunen ging durch die vollen Sitzreihen. Dem wenige Sekunden später ein Aufatmen der 200 Besucher folgte.

Jörg Reimers - für Fans der Reihe „Kunsthochdrei“ ein guter Bekannter - sprang für seine Kollegin ein. Er war gut vorbereitet. Ursprünglich war er für die Lesung angefragt worden, wie er später erklärte. Durch Großmanns Absage ging der Job doch an ihn.

Man rechnete mit Reimers. Sein Auftritt überraschte trotzdem. Moderatorin Anne Linsel sprach gerade von den Auftritten des Dadaisten Hugo Ball im „Cabaret Voltaire“, da verließ der Schauspieler sein Versteck hinter einer Säule. Er trat vors Publikum und trug mit viel Pathos in der Stimme vor. Natürlich ein Gedicht von Ball. Eine Melodie aus Phantasiewörtern, die er mit einem dröhnenden „Bim-ba-lu!“ abschloss.

Dadaismus ist höherer Unsinn. Reimers las also nicht. Er spielte mit den Texten und seine Zuhörer hatten ihren Spaß. Etwa an den Gedichten von Kurt Schwitters. In „Anna Blume“, der Ode auf das „ungezählte Frauenzimmer“, jonglierte er mit Worten und Lauten. Ließ sie knirschen, rollen und dann wieder tröpfeln. „A-N-N-A!“

Was aber macht man mit einem Text wie „Wand“, der dieses Wort ständig wiederholt? Reimers fand eine überzeugende Antwort. Er gab „Wand“ jedes Mal einen eigenen Ton. Brutal und zart klang es, leise und laut. Am Ende verklang das Wort in einem Echo. Selbst den Zufall baute er mit Erfolg in seine Lesung ein. Das Mikrofon, das versehentlich auf dem Vorlesertisch landete, bekam eine improvisierte Schimpfrede ab: „Dada - du - du!“

Stark war auch die Performance von Pianist Michael Lang, der Musik von Paul Hindemith spielte. Der Komponist war nie Dadaist, aber in jungen Jahren ein echter Bürgerschreck. Aus dieser Phase stammt auch die „Suite 1922“. „Nimm keine Rücksicht auf das, was du in der Klavierstunde gelernt hast“, heißt es in den Spielanweisungen. „Betrachte hier das Klavier als eine interessante Art Schlagzeug.“

Lang nahm sich diese Vorschläge zu Herzen. Hart war sein Anschlag. Subtil gestaltete er den Rhythmus. Vom geraden Marsch des Auftakts sprang er weiter zu Tänzen wie Shimmy und Boston-Walzer (typisch für die 20er Jahre) bis hin zum Ragtime-Finale.

Als Hindemith seine „Suite 1922“ schrieb, galt Dadaismus bereits als tot. In ihrem Vortrag rollte Anne Linsel seine kurze und intensive Geschichte auf. Sie sei eine Antwort auf den Irrsinn des 1. Weltkriegs gewesen. Ein Protest gegen den Fortschritt, der zum Krieg geführt habe. Alles auf der Basis des kleinen Wörtchens „Dada“, das in manchen Sprachen etwas bedeutet, in anderen reiner Nonsens ist.

Fotos auf einer Leinwand zeigten das 1916 eröffnete „Cabaret Voltaire“ in Zürich. Die Geburtsstätte einer Bewegung, die in den Folgejahren bis Berlin, Paris und Köln ausstrahlte. Auch Künstlerinnen waren mit dabei. Linsel nannte Namen wie Emmy Hennings, Sophie Täuber und Hannah Höch. Letztere war eine Pionierin auf dem Gebiet der Collage-Bilder.

„Was ist von Dada geblieben?“, fragte Linsel abschließend. „Ich denke: alles.“ Vor allem aber die Idee der Gleichzeitigkeit von Literatur, Musik, Tanz und Schauspiel, die man bereits auf der Bühne des „Cabaret Voltaire“ sehen konnte.

Für Linsel lag es auf der Hand, den Bogen zu Pina Bauschs Tanztheater zu schlagen. Ein bisschen Dadaismus hat also auch den Weg nach Wuppertal gefunden.

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