Jazz Einst Bürgerschreck, nun Urgestein

Krefeld · Saxophonist Peter Brötzmann spielt ein Free-Jazz-Soloprogamm im Jazzkeller.

 Peter Brötzmann bei seinem Solo im Jazzkeller.

Peter Brötzmann bei seinem Solo im Jazzkeller.

Foto: Mark Mocnik

Er galt als Provokateur, „angry young man“ und Bürgerschreck. Heute nennen ihn seine Fans ein „Urgestein“, wahrscheinlich ohne den Widerspruch wahrzunehmen. Als „Vater des deutschen Free Jazz“ wird er auch gern bezeichnet, was dann so halbwegs stimmt.

Natürlich hat der bald 78 Jahre alte Wuppertaler Peter Brötzmann die freieste Spielform des Jazz für Deutschland nicht alleine erfunden, aber in den 1960er Jahren war er im Wortsinn einer ihrer lautesten Protagonisten. Nun gastierte er auf Einladung des Jazzklubs solo im Jazzkeller, 47 Jahre nach seinem ersten Auftritt am gleichen Ort.

Musikalisch kommt er nicht
so wortkarg daher

Auf der Klarinette hat er als Kind Unterricht erhalten, das Spiel vor allem auf dem Tenorsaxophon hat er autodidaktisch erlernt. Zu seinem Auftritt brachte er nun auch noch ein Tárogató mit. Das ist ein ungarisches Blasinstrument, das äußerlich einer Klarinette ähnelt, aber dessen Klang eher dem Saxophon nahekommt.

Zwei Ansagen leistete sich Brötzmann während seines Konzerts. Nach dem ersten Set vermeldete er „eine kleine Pause für den alten Mann“, zum Schluss sagte er leise: „Das war’s Leute“, drehte sich um und begann, seine Instrumente für den Transport auseinanderzubauen. Musikalisch kam Brötzmann nicht so wortkarg daher, das versteht sich. Vor allem auf dem Tenor entwickelte er eine kraftraubende Lautstärke und tat sich mit allem hervor, für das er bekannt ist. Free Jazz à la Brötzmann, das ist tatsächlich noch der Free Jazz, wie er sich in den 1960er Jahren etablierte, ohne sich etablieren zu wollen.

Jazz als Abkehr von herkömmlichen Regeln

Die Musik war da erst einmal Resultat einer Abkehr von den herkömmlichen Regeln. Sie war atonal, also harmonisch frei, rhythmisch ungebunden, also ohne festes Metrum, und sie scherte sich nicht um Klangideale. Für Brötzmanns ungestümes Spiel hat man nicht von ungefähr das lautmalerische Verb „brötzen“ erfunden.

Laut, ungeschliffen
und unkontrolliert

Seiner Neigung, die Instrumente zu überblasen, ließ Brötzmann auch jetzt freien Lauf. Da war also immer viel Geräusch mit im Spiel. Formen schlichen sich aber trotzdem ein in sein intuitives Agieren. So wechselte Brötzmann in jeder Improvisation zwischen lauten, ungeschliffenen sowie bewusst unkontrolliert gegriffenen Passagen einerseits und ruhigen, bewusst gespielten, oft sich wiederholenden, ja tatsächlich melodiösen Passagen andererseits.

Dieser Wechsel war konstant. Annähernd konstant war auch immer die Länge der einzelnen Phrasen zwischen zwei Atempausen. Dies ist wohl als ein der Physis geschuldetes Phänomen zu werten, das sich gleichwohl musikalisch niederschlug. Ruhige und unruhige Passagen standen stets unvermittelt nebeneinander – immerhin. Aber dass sich in den ruhigen, manchmal fast zarten Teilen Melodien aus den Echokammern des regelkonformen Jazz und der Folklore des Balkans wiederfanden – muss man das jetzt auf altersmüde Milde zurückführen? Vielleicht. Die Fans dankten Brötzmann mit zurückhaltendem Applaus, eine Zugabe hätte er wohl eh nicht gegeben. kMs

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