Künstler Blutvergießen auf dem Meer oder besser auf der Leinwand?

Der Wuppertaler Sven Weigle provoziert gerne mit seiner Kunst, lässt dabei aber die Ästhetik nicht aus den Augen.

 Sven Weigle geht als Künstler an Grenzen.

Sven Weigle geht als Künstler an Grenzen.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Er will Grenzen ausloten, gesellschaftskritische Themen auf geeignete Art und Weise künstlerisch umsetzen, will Ästhetik und Provokation verbinden, mit dem Betracher ins Gespräch kommen. Etwa bei seinem Werk „Verschwendung“, das Sven Weigle mit seinem eigenen Blut „gemalt“ hat. Vor den Augen der Passanten in einer Kölner Fußgängerzone. „Eine einmalige Aktion“, sagt er, die ihn an seine Grenzen bachte, weil er eigentlich kein Blut sehen kann.

Sven Weigle ist familiär „vorbelastet“: Sein Großvater Theo malte, die eigene Mutter Cornelia ist Kunstpädagogin. „Mein Opa hat mir das Malen, Zeichnen und Fotografieren beigebracht, meine Mutter mich an wichtige, gesellschaftskritische Themen herangeführt“, erzählt der 31-Jährige, der nach dem Abitur 2010 gleichwohl in Bremen Raumfahrttechnik studierte. Das Studium auch zu Ende führte, obwohl er schnell merkte, dass es sehr theoretisch und überhaupt nicht kreativ war. Und weil er von Kindesbeinen an gemalt hatte, beschloss er, „das mit der Kunst zu probieren“. Er meldete sein Logo (ein W mit einem Punkt darauf) an, malte Bilder und programmierte eine Website, auf der er die schon damals teils expressiv-abstrakten, teils grafischen Werke präsentierte. Die Kunstwelt wurde auf ihn aufmerksam, erste Ausstellungseinladungen nach Berlin (2016), Hamburg und New York folgten. Vor allem der künstleriche Austausch in der US-Metropole brachte ihn weiter: Die zunächst eher dekorative Kunst wandelte sich. „Anfangs habe ich Acrylfarbe auf Leinwand gebracht, nun kamen immer mehr Materialien und Assemblagen dazu. Und mehr inhaltliche Tiefe“, erinnert sich Weigle.

Die Kunst beschäftigt sich mit Rassismus und Ungleichheit

Seine Kunst ist gesellschaftskritisch, beschäftigt sich mit Themen wie soziale Ungleichheit, Rassismus, Toleranz. „Kunst hat einen Auftrag, sollte eine Aussage haben und Platz für die eigene Interpretation lassen“, sagt er bestimmt und zieht das kleine quadratische Bild „Toleranz“ heran, das aus bunt eingefärbtem Toilettenpapier besteht. Er verwende gerne Dinge in seiner Kunst, die dort nicht erwartet werden, ergänzt Weigle. Aus dem Rahmen ragen eingefärbte Stäbe, die das Thema erweitern sollen. Seit der Berliner Ausstellung gibt der Künstler seinen Arbeiten solche kunstfertigen, mit Sticks besetzte Umfassungen – Anlass für so manches Gespräch mit den Betrachtern.

Die Bilder entstehen nicht spontan, Weigle plant sie. „Verschwendung“ wuchs aus seiner Beschäftigung mit der Flüchtlingsproblematik auf dem Mittelmeer. „Ich habe mich gefragt, was schlimmer ist: Blutvergießen im Meer oder auf Leinwand?“, erklärt er, wie er zu seiner Performance in Köln kam, die ein Sinnbild für Inhumanität schaffen sollte. In seinem Atelier zeichnete er auf eine 80 mal 80 Zentimeter große Leinwand mit schwarzer Acrylfarbe die Konturen zweier Hände, die wirr auseinanderlaufen – wie Hände, die die rettende Hilfe nicht geben. Im April legte er die Leinwand auf das Pflaster einer Einkaufszone, ließ darauf sein eigenes Blut tropfen, das ihm medizinisches Fachpersonal aus der Armbeuge entnahm. „Jeder will Fleisch essen, aber nicht sehen, wie ein Schwein geschlachtet wird. Das bringt das Thema mit den Flüchtlingen auf den Punkt“, sagt Weigle über seine 20-minütige Aktion, die gefilmt wurde und widersprüchliche Reaktionen zwischen Interesse, Begeisterung und Ablehnung auslöste, zu Gesprächen führte. Somit gelungen sei, findet er.

Das Bild wurde für 6900 Euro von einer Sammlerin gekauft. Der junge Mann kann von seiner Kunst leben. Auch das fast 60 Kilogramm schwere installative Werk „Gleichheit“, mit seinen fein angeordneten Steckdosen auf der einen Seite und den rußgeschwärzten und zerstörten Steckdosen auf der anderen Seite hat einen Käufer gefunden. Auf der „artpu:l“ in Eupen im Juni zeigte er die Arbeiten nochmal. Und wieder erfuhren sie große Aufmerksamkeit. Für eine Austellung im Oktober in Brüssel muss er nun neue schaffen. Die Themen Klimawandel und Konsumgesellschaft sind gesetzt. Wohl auch die Diskussionen, die seine Arbeiten auslösen dürften.

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