Die Welten der Führungskräfte

Philipp Lahm von den Bayern will Kapitän des Löw-Teams bleiben. Michael Ballack ist es. Noch zumindest.

Durban. Am Tag nach dem kleinen Erdbeben im DFB-Quartier in Erasmia hatte Joachim Löw am Dienstagabend in Durban eine für ihn scheinbar passable Lösung gefunden.

Der Puls der Nation benötigte dringend Normalmaß, so kurz vor dem Halbfinale durfte er keine Diskussion um das Kapitänsamt und damit um die Zukunft von Michael Ballack zulassen. Und also sprach der Trainer: "Michael Ballack ist gesund, er hat unser Quartier deshalb verlassen, weil unser Arzt ihm dringend geraten hat, jetzt mit dem Training zu beginnen."

Löw wirkte dabei durchaus gelassen. "Da wir unter besonderer Anspannung stehen und alle Physiotherapeuten auch mit der Mannschaft belastet sind, wird er jetzt zurückgehen. Und er wird am Wochenende auch wieder zur Mannschaft kommen - wenn wir im Halbfinale erfolgreich sind."

Der Bundestrainer hatte Fakten verkündet. Mehr wollte er jetzt nicht zulassen, es wird ohnehin das zweite große Thema neben Löws Zukunft nach der WM. Aber, bitte, nicht jetzt. Der Capitano also wird nach Südafrika zurückkehren, sollte Deutschland am Mittwoch gegen Spanien (20.30 Uhr) ins WM-Finale einziehen. Ein Zeichen der Harmonie, wo offenbar keine ist?

Denn Ballacks Mannschaftskollegen hatten in den letzten Tagen keine Möglichkeit ausgelassen, ihre große Distanz zum bis dato einzigen deutschen internationalen Star zu demonstrieren. Spätestens als Philipp Lahm am Vortag in einem durch den DFB autorisierten Interview seine Ansprüche angemeldet hatte, auch nach der WM Kapitän bleiben zu wollen, hing der Haussegen schief.

Eine Palastrevolution im Velmore Grande? "Der Zeitpunkt mit Abreise und diesen Aussagen war sicher nicht so glücklich", sagte Manager Oliver Bierhoff am Dienstaga und stellte klar: "Philipp ist der WM-Kapitän, und Michael Ballack ist der Kapitän." Auf diesen Kurs war auch Löw am Dienstag eingeschwenkt: "Das stört uns hier überhaupt nicht", sagte Löw trotzig vor dem Halbfinale.

"Natürlich würde Philipp auch gerne die Verantwortung weiter übernehmen, aber natürlich weiß er, dass der Trainer die Entscheidung nach der WM trifft." Jeder könne seine Meinung sagen, sagte Löw noch. Meinungsfreiheit, die bisweilen verwundert.

Denn was anderes sollte den durchaus intelligenten Lahm bewogen haben, zu diesem Zeitpunkt eine solche Diskussion zu eröffnen, als den Anführer Ballack von diesem sich gerade erst neu definierenden Team fern zu halten? Es ist kein Geheimnis mehr, dass der Neu-Leverkusener in dieser jungen Mannschaft weniger Freunde hat als Antipathien genießt.

Während Lahm den sozio-integrativen Stil pflegt und die Mannschaft stets einbezieht, lebte Ballack die Führungsrolle klassisch vor - und war innerhalb einer Generation, die nicht mehr seine ist, zum Anachronismus geraten. Anzeichen dafür - schaut man in die jüngere Geschichte - gab es genug: Vor einem Länderspiel in Köln philosophierte der in der DDR aufgewachsene Ballack schon einmal über die junge Fußball-Generation und die Unterschiede zu seiner Zeit.

"Bei uns war es klar, dass man erst einmal die Koffer tragen muss", sagte Ballack damals. Auch die Ohrfeige von Lukas Podolski gegen den Capitano am 1. April 2009 im Länderspiel in Wales war ein erstes Zeichen des Aufstandes - und nicht nur des Affekts.

Dass Lahm aber trotzdem den falschen Zeitpunkt für eine derartige Offensive gewählt hat, ist augenscheinlich. Auch nach der WM wäre der kleine Abwehrspieler mit den großen Ambitionen kraftvoll genug gewesen, seine Ansprüche zu untermauern - ohne sein eigentliches Ziel, Ballack abzulösen, zu gefährden. Dass er es dennoch und geplant getan hat, spricht für einen tiefen Riss zwischen Team und Kapitän. Die mögliche Rückkehr Ballacks nach Soccer City am Sonntag birgt Zündstoff. Auch wenn sie genau den nehmen sollte.

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