Musicals bescheren Hamburg Touristenboom

Hamburg (dpa/tmn) - Hamburg gilt als deutsche Musicalhauptstadt. Vor kurzem lief an der Reeperbahn die Weltpremiere von „Rocky“. Doch die Anfangsjahre waren turbulent, ein Stück löste sogar Straßenkämpfe aus.

Seit 15 Runden prasseln die Schläge auf Rocky Balboa ein, aber er steht noch. Er steht im sich drehenden Ring im Tui-Operettenhaus an der Reeperbahn und prügelt sich mit Apollo Creed um die Weltmeisterschaft, wieder einmal. Es ist der epische Kampf des Underdogs gegen den übermächtigen Favoriten, das dramatische Finale von „Rocky“. Die Zuschauer klatschen zur aufpeitschenden Musik, Fäuste fliegen im blau-weiß-roten Blitzlicht, krachen in Zeitlupe gegen Schädel, Schweiß spritzt. Am Ende hat der Außenseiter den Kampf verloren, aber das Herz seiner Angebeteten gewonnen. Und Deutschlands Musicalhauptstadt hat ein neues Spektakel.

„Neben London und New York ist Hamburg der drittgrößte Musical-Standort weltweit“, teilte der Wirtschaftssenator Frank Horch stolz mit, als Mitte November der Bau des fünften Theaters in der Stadt bekanntgegeben wurde. Die Spielstätte mit drei Etagen wird komplett in die Großmarkthalle integriert und soll 2000 Zuschauer aufnehmen. Das Stahl- und Betonskelett von Theater Nummer vier wächst bereits jetzt im Hafen in die Höhe, 2014 soll es eröffnet werden. Direkt daneben stolziert der „König der Löwen“ im elften Jahr höchst erfolgreich durch die Bühnensavanne.

Die Musicals sind ein mächtiger Touristenmagnet, sie ziehen Wochenend-Ausflügler aus dem ganzen deutschsprachigen Raum an. Jedes Jahr strömen rund zwei Millionen Besucher in die drei großen Theater des Fast-Monopolisten Stage Entertainment. Und immerhin 1,3 Millionen Zuschauer wollten seit 2003 im Schmidts Tivoli die „Heiße Ecke“ sehen, das Musical über eine Imbissbude in St. Pauli. Ab Ende 2014 oder Anfang 2015 mischt Mehr! Entertainment mit dem neuen Theater in der Großmarkthalle mit. „Cats“, „Shrek“ oder „Spider-Man“ könnten dort aufgeführt werden, wird gemutmaßt. „Die Interessenten stehen Schlange, um neue Spielstätten zu eröffnen und neue Produktionen zu starten“, sagt Sascha Albertsen, Sprecher von Hamburg Tourismus.

Dass es so gekommen ist, hat Hamburg einem schillernden Visionär zu verdanken. Friedrich Kurz lernte Mitte der 1980er Jahre Andrew Lloyd Webber in London kennen und brachte dessen „Cats“ an die Elbe. Das damals abrissreife Operettenhaus bekam er von der Stadt mietfrei, wie er in seiner Autobiografie „Der Musical-Mann“ schreibt. Kurz baute es zum Musicaltheater um, er schloss Verträge mit Hotels, Reiseveranstaltern und der Bahn.

Seine Rechnung ging auf. „Cats“ lief 15 Jahre am Kiez, mehr als sechs Millionen Zuschauer wollten die singenden Katzen sehen. „'Cats' hat 1986 den Tourismus in Hamburg wach geküsst“, sagt Albertsen. Doch Kurz machte sich nicht nur Freunde in Hamburg. Für das „Phantom der Oper“ ließ er für 80 Millionen Mark ein neues Musicalhaus bauen, die Neue Flora an der Stresemannstraße, gleich gegenüber der S-Bahn-Station Holstenstraße. Bei der Premiere am 29. Juni 1990 protestierten Autonome, 3800 Polizisten mussten die Zuschauer schützen, die mit faulem Obst und Eiern beworfen wurden.

Heute stört sich kaum noch einer daran, wenn Abend für Abend die Zuschauer in mehr oder weniger feiner Garderobe zur Neuen Flora flanieren, um „Tarzan“ zu sehen. Noch bis Herbst 2013 schwingt sich Alexander Klaws, der erste Gewinner der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“, durch den stilisierten Dschungel. Danach könnte das „Phantom der Oper“ nach Hamburg zurückkehren, wie in der Hansestadt hin und wieder zu hören ist.

Vielleicht steht dann einer der Nachwuchsdarsteller auf der Bühne, die im sechsten Stock eines Backsteinhauses in der Speicherstadt gerade ein Stück einüben. Die Schüler der Joop van den Ende Academy dürfen sich als Elite fühlen. Aus 400 Bewerbern wählt die Musicalschule von Stage Entertainment jährlich zehn bis zwölf Schüler aus. Sechs Semester lang lernen sie Schauspiel, Gesang und Tanz.

Chancen sich wie ein Löwe zu bewegen, haben auch die Kinder, die einen Stock tiefer trainieren. Gut möglich, dass einer von ihnen der neue Simba wird. Ein Ende von „König der Löwen“ ist nicht abzusehen, die Musicalmaschine läuft weiter auf Hochtouren.

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