Florian Etti erschafft Bühnenwelten

Mit Marilyn Manson auf den Ohren gelingt dem Bühnenbildner fast alles. Für Martin Schläpfer arbeitet er gerade an Mahler.

Düsseldorf. Dort, wo Florian Etti aufgewachsen ist, machen andere Menschen Urlaub. Sie finden die Erholung, die er selbst in diesem Überfluss nie hätte spüren wollen. In seiner Heimat am Bodensee gibt es Enzian, Rotkehlchen und Forellen und ganz sicher keinen einzigen Balkon ohne Blumenkasten.

„Martin Schläpfer und ich kommen aus der gleichen Geranien-Terrorgegend“, sagt Etti, den damals am meisten nervte, dass im Umkreis von 500 Kilometern kein Theater stand. Was blieb, war die Lektüre von Shakespeare, Richard III, in Ettis Augen reinste Rockmusik, die er so exzessiv in sich aufnahm, dass sie ihn am Ende zum Theater trieb und er sich dessen Anziehungskraft ganz und gar ergab.

Florian Etti wurde Bühnenbildner, er arbeitete mit Karin Beier und Sönke Wortmann am Düsseldorfer Schauspielhaus. Macht die Bühne für Burkhard C. Kosminski und Heinz Spoerli. Und neuerdings auch für Düsseldorfs Chefchoreographen Martin Schläpfer. Zurzeit befasst er sich mit dessen Ballett-Uraufführung zur 7. Sinfonie von Gustav Mahler, die am 26. Oktober in der Oper Premiere feiert.

Um zum Kern vorzudringen, erkundet Etti das Stück, taucht ab in die Literatur über Mahler. Von allen Krakauer Synagogen hat er ein Modell gemacht, nachdem er bis an den Anfang zurückgegangen war in der Biografie des Komponisten, bis zu dessen jüdischer Herkunft. „Die theoretische Sorgfalt ist absolut notwendig. Ich lese alles über Mahler, das sind echte Trips. Bevor ich aber meine Denkreise antrete und meine Arbeit beginnt, muss ich wieder doof werden“, sagt Etti ungespreizt. „Unser Denken läuft viel zu gerade, da muss man sich austricksen.“

Etti hat bereits Schläpfers Erfolgsballett „Ein deutsches Requiem“ ausgestattet. Er errichtete einen sakralen Raum, der elementaren Kräften und metaphysischen Regungen gleichermaßen Halt bot. „Tanz hat tolle Gesetzmäßigkeiten und ist so zerbrechlich. Hier funktionieren Mini-Gesten, die in der Oper niemand wahrnehmen würde. Aber das bedeutet nicht, dass man etwas Belangloses machen darf. Man muss nur das Richtige weglassen“, sagt Etti.

Als er in Berlin Kunst und Sprachen studierte, jobbte er in einem Filmlager und hat damals „alles auf einmal geguckt“. Dabei seien ihm „Freaks“ wie Werner Schroeter aufgefallen, deren Arbeiten den eigenen Blick schärften. Mit Schroeter arbeitete er später in Düsseldorf zusammen. Bei Rolf Glittenberg in Köln lernte er, dass die Realität auf der Bühne nicht gottgegeben ist, sondern erzeugt werden muss. Dann, und nur dann, sagt Etti, erhält vielleicht auch ein Sofa auf einer Bühne eine Berechtigung. Möbelbühnenbilder kann er nur schwer ertragen. „Wenn ich Klipp-Klapp-Türen sehe, bricht für mich eine Welt zusammen.“

Zwischen fünf und acht Uhr morgens arbeitet der 53-Jährige. „Dann ist der Tag noch unschuldig.“ Es gibt „Fetzen von Ideen“, aus denen Etti seine Erlebnisräume entwickelt. Sieben bis acht Modelle fertigt er für jede Inszenierung und hört dabei Musik. Dauernd Marilyn Manson. „Das ist wie ein Stück Fleisch, das ist Sex. Ich muss mich ja antreiben. Wenn ich Manson auf den Ohren habe, kann ich wirklich überall auch Hochkompliziertes durcharbeiten.“

Und weil ihm das ebenso gut gelingt wie das Konzentrieren, erobert er sich Bilderwelten mit Respekt vor der Sache zwar, jedoch ganz und gar furchtlos. Für Kosminskis Tannhäuser definierte er eine radikale Ausstattung an der Düsseldorfer Oper. Im Schauspielhaus überholte er in der legendären Romeo-und-Julia-Inszenierung von Karin Beier 1994 die berühmte Balkonszene, setzte die Protagonisten auf zwei Trapeze und ließ sie über die Köpfe der Zuschauer hinwegschaukeln.

Büchners „Dantons Tod“, das gerade in Mannheim aufgeführt wird, versah Etti mit einem 15 Meter mal acht Meter großen leuchtenden Kissen, aus welchem Robespierre und Danton die Luft heraus lassen und freien Blick auf den Übeltäter „Absolutismus“ gewähren. Die Inszenierung spielt in einer Lego-Landschaft.

Das große Glück, sich stets für ein neues Sehen bereithalten zu dürfen, schätzt Florian Etti. „Das ist es, was diesen Beruf ausmacht — dem Innersten von jemand anderem zu begegnen.“

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