Kunsthalle Düsseldorf: André Thomkins -der bravouröse Erfinder

Knopfei, Lackhäute und Nudelbauten: Düsseldorf zeigt André Thomkins Werk.

Düsseldorf. Als André Thomkins (1930 bis 1985) 16 Lenze zählte, empfahl ihm sein Mathematiklehrer in Luzern, mit dem rechnerisch begabteren Mitschüler Serge Stauffer zu üben. Doch anstatt sich mit vereinten Kräften in die logischen Künste zu knien, lasen die Freunde dadaistische Texte — und wurden schließlich selbst Künstler. Weil sich Thomkins mehr der Kreativität als den Klassenarbeiten widmete, wurde er der Schule verwiesen.

Der Weg war frei, um kreativ zu sein, etwa zu fragen, wie man einem Ei einen Knopf annäht (Bild rechts). Thomkins sollte das Problem 1958 ganz einfach lösen: Er bohrte zwei Löcher ins Ei, steckte Garn ein und nähte an die losen Enden des Garns dem Ei den Knopf an.

Jetzt erhält dieser Tausendsassa, der die Buchstaben vor- und zurücksetzte und dabei von sich behauptete „ein ego — genie“ zu sein, die längst fällige Retrospektive in der Düsseldorfer Kunsthalle. Sie kommt aus dem Kunstmuseum Liechtenstein, wo Dagmar Streckel den Nachlass mit 6700 Werken betreut.

Thomkins wollte eigentlich Architekt werden, besaß von der Schulzeit her Fertigkeiten im technischen Zeichnen und schaute über Vaters Schultern, der als Architekt mit Stijl-Mitgliedern verkehrte. Doch für Thomkins bedeutete das Wohnen ein „Ent-Wöhnen“. Er reflektierte über Konzepte für ein neues Leben, wenn der Roboter die Arbeit macht und den Menschen Zeit für kreatives Denken lässt. So zeichnete er einen Lebensraum im Ruhrgebiet — auf Abraumhalden.

Dieser „wandelnde Anthologe alles Abseitigen“, wie ihn sein Freund Karl Gerstner nannte, war ein Wahlverwandter von Klee in seinen ironisch-skurilen Themen. Er nahm aber auch die wabenartigen Rapporte frei nach der mittelalterlichen Buchmalerei und setzte zauberhafte Hausbewohner in seine Kuben und Kulissen (Bild oben) ein.

1951 lernt der 21-Jährige die 29-jährige Eva Schnell in Paris kennen. Sie heiraten 1952. Diese Frau, die ihm fünf Kinder zur Welt bringt, von denen zwei bei Verkehrsunfällen sterben, ist sein Glück. Als Pädagogin für Kunst und Literatur an der Gesamtschule Essen verdient sie das Geld für die große Familie und hält ihm den Rücken frei.

So kann Thomkins seine schwerelosen „Schwebsel“-Figuren als Kegel- und Wichtelmännchen erfinden und Lackfarben auf die Wasseroberfläche in Suppenteller träufeln. Durch Pusten entstehen abstrakte Figuren, die er auf Papier abzieht. Die Technik der Lackhäute entdeckt er 1955 für sich, als er beim Pinselreinigen nach dem Anstrich eines Kinderbettes ein Gesicht auf dem Wasser tänzeln sieht.

Große Kirchenfenster malt er für Düsseldorf-Eller. Leider geht das Werk aus Kunststoff in Flammen auf. Geblieben sind nur Entwürfe. 1968 eröffnet sein Freund Daniel Spoerri „Spoerris Restaurant“ am Düsseldorfer Burgplatz, 1970 kommt eine Eat-Art-Galerie (Ess-Kunst) hinzu. Und André baut aus Nudeln, Oblaten, Süßholz, Erbsen oder Dörrbohnen seine Fantasiegebäude.

1971 wird er sogar Akademieprofessor in Düsseldorf, hängt den allzu turbulenten Job in der Beuys-Ära allerdings drei Jahre später an den Nagel. Zwischendurch schafft er Bühnenbilder, für Pinters „Hausmeister“, Albees „Amerikanischen Traum“. Aus Gummibändern für Einmachgläser zaubert er 1969 einen „Zahnschutz gegen Gummiparagraphen.“

Ein genialer Kerl, der viel zu früh mit 55 Jahren in Berlin am Herzinfarkt stirbt. Nun entwirft die mit dem Nachlass beauftragte Dagmar Streckel einen „Leitfaden“, um seiner überbordenden Fantasie Herr zu werden.

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