Meinung Nach Macrons Appell: Europa braucht die große Bühne

Meinung · Mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer für einen „Neubeginn“ in Europa hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron großen Wirbel ausgelöst.

 Macron fordert eine EU-Reform.

Macron fordert eine EU-Reform.

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Emmanuel Macron beherrscht das politische Pathos. Und die große Geste. Das hat er beim Thema Europa im September 2017 mit seiner Sorbonne-Rede bewiesen. Das beweist er jetzt wieder mit seinem Appell an die Bürger Europas, der am Dienstag in Zeitungen aller 28 Mitgliedsstaaten der EU veröffentlicht wurde.

Und wie immer, wenn ein eloquenter Spitzenpolitiker mit gut formulierten Sätzen ins Visionäre und bisweilen vielleicht auch Ungefähre abgleitet,  sind die Vorwürfe nicht weit: Der will nur blenden, der will nur glänzen, der will nur ablenken – aber substanziell Neues hat er nicht zu bieten.

Doch im Augenblick ist nicht die Zeit der politischen Erbsenzähler und Kleinkrämer. Es ist auch vollkommen wurscht, ob Macron daheim noch Probleme mit den Protesten der Gelbwesten hat und sich vielleicht deshalb lieber auf der europäischen Bühne tummelt. Es ist sogar zweitrangig, wie viel Prozent Neuigkeitswert sein Appell enthält.

 Ein Kommentar von Ekkehard Rüger.

Ein Kommentar von Ekkehard Rüger.

Foto: ja/Sergej Lepke

Macron mag den einen zu wirtschaftsliberal, anderen zu smart und Dritten ein längst verblasster Stern am Politikerhimmel sein: Seine Leidenschaft für Europa aber wird ihm niemand absprechen können. Und der französische Präsident versteht es wie nur wenige andere, dieser Leidenschaft auch öffentlichkeitswirksamen Ausdruck zu verleihen. Dafür können ihm alle, denen die europäische Idee noch etwas bedeutet, nur dankbar sein.

Denn Europa braucht knapp vier Wochen vor dem Brexit-Datum und keine drei Monate vor der Europawahl die große Bühne und die große Geste, das Pathos und die Leidenschaft. Es braucht eine Gegen­erzählung zu den zermürbenden Detail-Quälereien des
Brexits und dem geschichtsvergessenen Poltern der Nationalisten. „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.“ Macron ist nicht der Erste, der das denkt und sagt. Aber er verschafft dem Gedanken mit Leidenschaft wieder neu Gehör.

Leidenschaft ist nicht gerade der Begriff, der einem bei Angela Merkel zuerst in den Sinn kommt. Aber es ist erst wenige Wochen her, dass ihre historische Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz für Furore sorgte – ein glühendes Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit.

Damals ging es um Multilateralismus im Weltmaßstab. Doch Europa hat dieselbe Leidenschaft verdient. Die Kanzlerin täte gut daran, sich den Münchner Moment befreiender Klarheit zu bewahren und Macron diesmal nicht wie nach der Sorbonne-Rede auf offener Bühne verhungern zu lassen. Hinter dem Vorhang zählt nicht. Für Europa müssen jetzt alle ins Rampenlicht.

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