Sportgeschichte miterlebt Walters legendäres Hackentor

Wuppertal/Leipzig · Stephan Heider erlebte 1956 in Leipzig ein Stück Sportgeschichte mit und erinnert sich daran zum 100. Geburtstag von Fritz Walter.

 Fritz Walter beim Wimpeltausch vor dem Spiel gegen Wismut Karl-Marx-Stadt. Anschließend erzielte er sein Jahrhunderttor und trug mit zum 5:3-Sieg seines 1. FC Kaiserslautern bei.

Fritz Walter beim Wimpeltausch vor dem Spiel gegen Wismut Karl-Marx-Stadt. Anschließend erzielte er sein Jahrhunderttor und trug mit zum 5:3-Sieg seines 1. FC Kaiserslautern bei.

Foto: Ullsteinbild/copyright Ullsteinbild

Wenn die Fußballwelt an diesem Samstag, 31. Oktober, des deutschen Ehrenspielführers Fritz Walter gedenkt, der 100 Jahre alt geworden wäre, dann hat Stephan Heider seine eigenen Gedanken und seine ganz eigene Geschichte. Der gebürtige Niederschlesier, der von 1946 bis 1958 in Leipzig lebte, ehe er mit seiner Familie in den Westen ausreiste und seitdem in Wuppertal heimisch geworden ist, war nämlich Augenzeuge beim wohl schönsten Walter-Tor. Das hätte im heutigen Medienzeitalter mit zahlreichen bewegten Bildern sicher Klickrekorde im Internet gefeiert, wäre in jeder Torhitliste zu sehen. Als der damals 35-jährige Fritz Walter aber am 6. Oktober 1956 im Freundschaftsspiel seines 1. FC Kaiserslautern gegen den damaligen DDR-Meister Wismut Aue (damals in Wismut Karl-Marx-Stadt umbenannt) vor geschätzt 120 000 Zuschauern im flammneuen Leipziger Zentralstadion auf artistische Weise das 3:1 für seine Mannschaft erzielte, war noch keine Fernsehkamera dabei. Und auch die noch vorhandenen „körnigen“ Fotos halten den Moment nur unzureichend fest.

Schon fünf Stunden
vor Spielbeginn im Stadion

Stephan Heider hat die Szene dagegen noch genau vor Augen. Von seinem Stehplatz in der ersten Reihe des Stadionkranzes auf Höhe der Mittellinie hatte der damals Neunjährige freie Sicht darauf. Wie er mit seinem vier Jahre älteren Bruder Felix an die heiß begehrten Karten gekommen war - zusätzlich zu den 100 000 Sitzplätzen waren für das Spiel auf dem Umlauf hinter den Sitzreihen noch Tausende Stehplätze ausgewiesen worden - weiß er nicht mehr. Auf jeden Fall waren die Steppkes schon fünf Stunden vor dem Anpfiff im Stadion, damit sich niemand vor sie stellen konnte. Eine weite Anreise - wie viele Zuschauer, die aus der gesamten DDR gekommen waren - hatten sie nicht. Ihre Familie wohnte gleich neben dem Stadion.

„Es gab eine Ecke für Kaiserslautern. Der Ball segelte in den Wismut-Strafraum, da kam Fritz Walter geflogen, hechtete mit seinem Körper unter dem Ball hindurch und traf vom Elfmeterpunkt mit der rechten Hacke den Ball, der im rechten Winkel landete“, schildert Stephan Heider das „Jahrhunderttor“ aus seiner Sicht. Gut erinnern kann er sich auch an den gewaltigen Jubel der Zuschauer.

Die 54er-Helden
waren Allgemeingut

Die hätten Fritz Walter ja nicht als Fremden aus dem Westen, sondern genau wie die zahlreichen 54er-Weltmeister im Lauterer Team als Idol betrachtet. „Ich weiß noch, dass wir bei der WM 1954 bei den deutschen Spielen alle vor dem Radio gesessen haben. Und nach dem Endspiel sind die Menschen auf die Straße gegangen mit dem Gefühl - das sind unsere Leute.“

Seine Fritz-Walter-Geschichte wird Stephan Heider sicher auch wieder am Sonntag erzählen dürfen, denn er hat selbst einen Tag nach dem großen Fritz Geburtstag, wird 75 Jahre alt. Weitere Gedanken gelten dann dem Pfandflaschensammeln im Umfeld des Stadions nach dem Spiel, mit dem er und sein Bruder mehr als die 2,50 DDR-Mark erlösten, die damals die Karten gekostet hatten. Oder dem Besuch seines ersten Oberligaspiels just am 31. Oktober 1952 zwischen Chemie Leipzig und Motor Dessau, mit dem Leipziger Torschützen Walter Rose, Großvater des heutigen Gladbach-Trainers. Und natürlich an die abenteuerliche Ausreise in den Westen 1958, als die Mutter mit zehn Kindern dem schon zwei Jahre zuvor ausgereisten Vater folgte. „Wir sind in den Sommerferien in vier Gruppen erst mit dem Zug von Leipzig nach Ostberlin gefahren, damit das nicht auffiel, haben dann die S-Bahn genommen, die auch durch den Westteil der Stadt fuhr und sind dort ausgestiegen, um uns wieder zu treffen“, erzählt Stephan Heider heute noch bewegt. Unter mehreren Kleidungsschichten, die alle getragen hätten, um möglichst viel mitzunehmen, habe er jedenfalls Blut und Wasser geschwitzt. Was gewesen wäre, wenn man sie kontrolliert hätte, will er sich lieber nicht ausmalen. Da sind die Gedanken an das legendäre Walter-Tor wesentlich angenehmer.

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