„Idomeneo“: Auf dem Sprung in die Moderne

Ein bewegender Abend: Für die Inszenierung von Constanze Kreusch gab es stehende Ovationen, aber auch Buh-Rufe.

Wuppertal. Jeder trägt seine eigene Leidensgeschichte: König Idomeneo verdankt seine Rettung dem Meeresgott. Sein Schicksal ist es, den Sohn Idamante dafür zu opfern. Ilia ist die gefangene, trojanische Prinzessin auf Kreta, die Idamante liebt: Diesem Paar weist Mozart in seiner Oper „Idomeneo“ die Rolle des modernen Menschen zu, der selbstbestimmt sein Geschick in die Hand nimmt.

In Wuppertal setzt Constanze Kreusch viele eindrucksvolle, statische Bilder in Szene — was nicht jedem gefällt — davon zeugten bei der Premiere am Samstagabend am Ende einige Buh-Rufe.

Sie gewinnt jedoch damit und mit einer gut lesbaren Übertitelung der recht sparsam übersetzten italienischen Texte den Freiraum für die Entfaltung der großartigen Musik der „ernsten Oper“ (Opera seria), mit der Mozart die Ästhetik der alten Form aufbricht: Das Drama findet nun nicht (nur) in den Personen, sondern in der Musik selbst statt. Wenn Mozart das zentrale Quartett im dritten Akt als psychologisierendes Ensemble anlegt, weist er mit klangfärberischen Details und dissonanten Spannungen weit in die Moderne.

Robert Chafin zeichnet die Figur des Idomeneo mit guter Bühnenpräsenz. Sein Tenor ist in Arien und Rezitativen von kraftvoller Schärfe, versagt aber in lyrischen und weich zu gestaltenden Passagen und im hohen Piano.

Überzeugend singt Mezzosopranistin Joslyn Rechter die Hosenrolle als Idamante. Dorothea Brandt als Ilia ist mit leichtem und unangestrengtem Sopran präsent. Die eifersüchtige und von Idamante verschmähte Elettra gibt Elena Fink mit ausdrucksvollem Spiel und in feurigen, koloraturreichen und perfekt vorgetragenen Wut- und Zorn-Arien und der finalen Verzweiflungsarie, die in den Wahnsinn führt.

Christian Sturm begeistert als Arbace — als Vertrauter des Königs — mit der Beweglichkeit seines Tenors durch große Tonräume, sauberen Koloraturen, einer leicht erreichten Höhe und sanftem Schmelz in Pianopassagen. Brillant löst der Bühnenchor (Einstudierung: Jens Bingert) große Aufgaben — als leidendes Volk, als Chor, der den Weltschmerz formuliert oder als Jubelchor, wenn Idamante den Gefangenen die Fesseln löst. Die Damen stecken in pastellfarbenen Reifröcken, die Hüfte und Gesäß betonen (Kostüme Petra Wilke), was gestelzte Bewegungen in den Kreis- oder Reihen-Choreographien provoziert.

Die Bühne (Jürgen Lier) korrespondiert in ihrer geometrischen Schlichtheit mit der ruhigen Personenführung. Schräge Ebenen und ein Wasserbecken, in dem Protagonisten oft unmotiviert planschen, bringen nicht wirklich Bewegung ins Bühnengeschehen. Das allein obliegt Mozarts Musik, die Dirigent Hilary Griffiths und das Sinfonieorchester wunderbar leicht, transparent und zurückgenommen dem Orchestergraben entströmen lassen. Das Publikum dankt mit Bravo-Rufen und stehenden Ovationen.

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