Das Historische Zenrum bietet mittlerweile auch Führungen durch die Engels-Sonderausstellung an Unbekannte Seiten eines unterschätzten Revolutionärs

Marko Lolic hat sich Engels verschrieben. Das fällt schon beim Blick in sein Gesicht auf, das von einem roten Nasen-Mundschutz mit dem Konterfei des Revolutionärs beherrscht wird. Das wird offensichtlich, wenn der 35-jährige Master-Student der Bergischen Universität kundig durch die Sonderausstellung „Friedrich Engels – Ein Gespenst geht um in Europa“ leitet.

  Marko Lolic (Mitte) führt durch die Ausstellung, die ihren Anfang mit Engels’ Jugendzeit in Barmen nimmt.

 Marko Lolic (Mitte) führt durch die Ausstellung, die ihren Anfang mit Engels’ Jugendzeit in Barmen nimmt.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Führungen sind erst seit einer Woche wieder möglich, werden rege nachgefragt und unter besonderen Schutzbedingungen realisiert: mit Maske, Abstand und kleinen Gruppen bis zu acht Personen. Deutlich mehr sind freilich auch unter „normalen“ Umständen schlecht in den fünf kleinen, gänzlich ausgelasteten Ausstellungsräumen im obersten Stockwerk der Kunsthalle Barmen vorstellbar.

Die Schau skizziert das Leben des berühmten Barmer Sohns chronologisch und anhand seiner wichtigsten Aufenthalte. Von Barmen, wo er am 28. November 1820 geboren wurde, über Berlin und Bremen, Manchester, Paris, Elberfeld und Manchester bis London, wo er am 5. August 1895 starb. Eine kleinteilige Ausstellung mit über 300 Exponaten, vielen Schaukästen, Modellen, Bildern, großformatigen beeindruckenden Fotos und immer wieder Briefen und anderen Dokumenten, die des intensiveren Schauens bedürfen.

Lolic ist seit etwa drei Jahren Museumspädagoge des Historischen Zentrums, kennt sich in der Zeit der Frühindustrialisierung aus, weiß, wie er sie für die verschiedenen Alters- und Intressengruppen aufbereiten muss. In der aktuellen Engels-Schau suchte er sich gezielt Exponate heraus, zu denen er möglichst anschauliche Geschichten und Anekdoten erzählen kann, „um die Besucher zu interessieren“. Sein persönliches Highlight ist weder das viel erwähnte Taufkleid der Familie Engels, das den Besucher am Anfang der Ausstellung empfängt, noch das vor kurzem aus Amsterdam angereiste Entwurfmanuskript zum Kommunistischen Manifest mit der krakeligen Handschrift von Karl Marx. Ihn fasziniert vor allem, „dass Engels sich mit nur 25 Jahren aktiv für die benachteiligten Arbeiter in Manchester eingesetzt hat“. Festgehalten in seinem Buch zur Lage der arbeitenen Klasse in England, das zum Standardwerk wurde und Thema im zweiten Raum ist.

Nach dem Lockdown war lange unsicher, ob die sieben Ausstellungsführer zum Einsatz kommen würden. Umso größer ist nun die Freude, die auch von den Besuchern geteilt wird. Darunter sind an diesem Donnerstag die Wuppertaler Ehepaare Schilling und Rücker, für die Friedrich Engels natürlich kein Unbekannter ist, aber eine Persönlichkeit, für die sich interessieren, für die sie sich mehr Wertschätzung wünschen. Zumal der Jubilar im ideologischen Ausnahmepaar Marx-Engels immer an zweiter Stelle steht.

Die Schau sollte auch an
anderen Orten gezeigt werden

Er wird unterschätzt, dabei hatte er maßgeblichen Einfluss“, unterstreicht Lolic. Da sind eine Stunde, die die Führung (coronabedingt) dauern soll, knapp. Und reichen natürlich nicht. Für den Schüler und Sohn eines Pietisten, der schon früh eine Oper schrieb. Für den Auszubildenden, der fern des engen Elternhauses im Bremer Kontor Bier lagerte, in den Gesangsverein eintrat und unter dem Pseudonym Friedrich Oswald Artikel verfasste.

Für den Revolutionär, der Marx 1844 in Paris kennenlernte, in Elberfeld auf die Barrikaden ging, von den Aufständischen aber entlassen wurde, weil sie nicht wie er den Sozialismus anstrebten. Für den Unternehmer, der fast 20 Jahre für den Vater bei Ermen & Engels in Manchester arbeitete, die Gewinne steil nach oben trieb und nach dem Tod des Vaters ausbezahlt wurde, sich mit knapp 50 Jahren zur Ruhe setzte. Für den Unterstützer der Ersatz-Familie Marx und Freund von Karl Marx, mit dem er in gestochen scharfen Buchstaben geschriebene Briefe tauschte. Für den Privatier, der Besucher empfing, seine Haushälterin Lizzie Burns am Totenbett heiratete und nach dem Tod von Marx dessen mehr als 1700 unleserliche Manuskpripte ordnete und so das Kommunistische Manifest vollendete.

Nach der Führung sind sich die Besucher einig: Die Schau sei spannend und verdiene, auch an anderer Stelle das Interesse an Engels zu fördern.

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