Jazz Improvisation mit Notenblatt

Krefeld · Quartett Laubrock/Payen gibt im Jazzkeller Rätsel auf.

 Stephane Payen, Ingrid Laubrock und Chris Tordini (v.l.) beim Konzert im Jazzkeller. Es fehlt im Bild Schlagzeuger Tom Rainey.

Stephane Payen, Ingrid Laubrock und Chris Tordini (v.l.) beim Konzert im Jazzkeller. Es fehlt im Bild Schlagzeuger Tom Rainey.

Foto: Strücken, Lothar (sl48)

Des Rätsels Lösung gab es am Schluss. In ihren Stücken, so Tenorsaxophonistin Ingrid Laubrock, hätten sie und ihr Kollege, der Altsaxophonist Stéphane Payen, sich an Tonleitern abgearbeitet, die der amerikanische Komponist Milton Babbitt (1916-2011) für seine Komposition „All Set“ (1957) benutzt habe. Aha. Deswegen klang die Musik des Quartetts von Laubrock und Payen, das auf Einladung des Jazzklubs Krefeld im Jazzkeller gastierte, einerseits sehr frei, dann aber doch nicht komplett atonal. Auch wirkte sie oft formal sehr streng.

Man hatte sich ja schon gewundert, dass die vier Musiker außerhalb ihrer Improvisationen so lange auf die vor ihnen stehenden Noten fixiert blieben. Mit dem Wissen um Babbitt musste man sich nicht mehr wundern. Der Komponist war auch noch Mathematiker und Musiktheoretiker, und er wurde von der Zwölftontechnik Arnold Schönbergs beeinflusst.

Sperrige Melodienlinien in „schräger“ Mehrstimmigkeit

Damit ist klar, dass über dem Konzert von Payen und Laubrock eben nicht der Ausdruckswille des Free Jazz schwebte, sondern dass hier der kontrollierte Bruch nachwirkte, den Vertreter der ernsthaften Neuen Musik mit den Klang-, Melodie- und Harmonie-Konventionen der herkömmlichen E-Musik vollziehen wollten. Streng zu beachtende Formen sowohl bei den Themen als auch bei den Improvisationen des Quartetts mussten einen dann auch nicht mehr überraschen. Die Skalen, die benutzt wurden, setzten Laubrock und Payen in sehr sperrige Melodielinien um, die selten einmal unisono, meist aber in „schräger“ Mehrstimmigkeit erklangen.

Auch bei dem, was mutmaßlich Improvisation war, blieben die Augen an den Noten kleben. Wahrscheinlich, um das Skalenmaterial nicht aus dem Blick zu verlieren. Immerhin sorgten die unterschiedlichen Klangqualitäten von Payens Alt- und Laubrocks Tenorsaxophon für Farbigkeit. Auch die Spielweisen der Bläser unterschieden sich deutlich. Payen pflegt den klareren Sound, dafür ist er aber auch jenseits der normalen Tonschritte im mikrotonalen Bereich unterwegs. Laubrock intoniert weniger klar, dafür süffiger, also durchaus auch mal etwas rau. Am spannendsten war die Musik des Quartetts meist dann, wenn die Bläser gemeinsam improvisierten.

Als Rhythmusgespann hatten Payen und Laubrock ein eingespieltes Duo aus New York dabei. Chris Tordini am Kontrabass und Tom Rainey waren schon oft im Jazzkeller zu Gast, ihre Rollenverteilung hat sich nicht geändert.Tordini beschränkte sich darauf, den nötigen Rückhalt zu geben, trat kaum solistisch hervor.

Für die Farbtupfer war Tom Rainey am Schlagzeug zuständig. Dabei verblüffte er dieses Mal damit, dass er sich der teils sehr verhaltenen Dynamik durchaus anpasste, während er sich in der Vergangenheit bei manchem Konzert nicht gerade als subtiler Begleiter erwiesen hatte. Wie der Mann jetzt aber auch in sehr leisen Passagen mit fast fragiler Leichtigkeit agierte, wobei er wie gewohnt fast jeden Takt anders als den vorhergehenden gestaltete, das hatte schon was. Raineys ideenreiche Verspieltheit wirkte auf die Musik des Quartetts insgesamt sehr belebend.

Ausblick Das nächste reguläre Jazzklub-Konzert im Jazzkeller bestreitet am Donnerstag, 13. Juni, das Sol Jang International Project. Das ist ein Klaviertrio in klassischer Besetzung.

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