Uraufführung „Kasimir Malewitsch“ Tanzfiguren im Farbenrausch - Ein Fest der Formen und Farben

Mönchengladbach · Der neue Ballettabend des Theaters Krefeld/Mönchengladbach feiert die bildende Kunst. Choreograf Robert North porträtiert große Maler.

Uraufführung „Kasimir Malewitsch“: Tanzfiguren im Farbenrausch
Foto: Matthias Stutte

Die Malergenies Henri Matisse, Sandro Botticelli, Kasimir Malewitsch und William Turner haben es dem Choreografen Robert North angetan. Schon als Kind stromerte North durch Galerien und Museen dieser Welt im Schlepptau seines Vaters, ein Bildhauer und Maler. Diesen vier Künstlern hat der US-Amerikaner im Laufe seines Lebens dann als Tanzschöpfer Ballette gewidmet – am Samstag die Uraufführung „Kasimir Malewitsch“ für das Ensemble des Theaters Krefeld/Mönchengladbach. Insgesamt vier kleine Stücke von 1979 bis heute fasst der 73-Jährige Ballettchef in dem neuen Abend stilistisch und thematisch facettenreich zusammen. Der Titel „Farben der Welt“ klingt nicht gerade reißerisch, doch das neue Programm mit den Kunst-Vertretern von der Renaissance bis zur Klassischen Moderne ist hinreißend. Es ist die Stunde der Bühnen- und Kostümbildner. Und das Ensemble präsentiert sich im Theater Mönchengladbach in Topform.

Es könnte ein echter Matisse sein: Ein farbenfrohes Bild mit zwei tanzenden Menschen zeigt gleich zu Beginn eine Gaze der Vorbühne. Dahinter formieren sich in heiterer Gelassenheit vier Paare. Sie tragen Kostüme in den gleichen leuchtenden Blau- und Rottönen, bedruckt mit den abstrakten Meerestieren und -pflanzen, die so typisch für den großen Koloristen Matisse sind (Ausstattung: Andrew Storer). Eine paradiesische Welt glücklicher, tanzender Menschen offenbart sich, als der Vorhang hochgeht. Beschwingt begegnen sich die Tänzer, schlagen vor lauter Lebensfreude auch schon mal Rad oder tragen eine Frau Huckepack. North hat sich von den Tanz- und Zirkusmotiven aus einer Serie von Scherenschnitten des französischen Malers Impulse für seine Harlekinaden und angerissenen Anekdoten auf Ballettschläppchen geholt. Entstanden 1984 in England, entwirft „Miniaturen (Henri Matisse)“ zu Musikstücken von Igor Strawinsky festliche Rituale mit ständig wechselnden Stimmungen. Doch selbst in der Melancholie bleibt der Grundton leicht. Ein wunderbarer Farbenrausch, der das Leben feiert.

Im Kontrast dazu das dunkle Kammerballett „Verkündigung (Sandro Botticelli)“. Das Auftragswerk aus Israel zeigt Robert North von einer anderen stilistischen Seite. Beim Erzählen der biblischen Geschichte vom Auftritt des Engels über die Auseinandersetzung zwischen Jesus, Judas und zwei Aposteln bis zur Kreuzigung wird der Einfluss der großen Ausdruckstänzerin Martha Graham, bei der er in New York tanzte, überdeutlich. 40 Jahre nach der Uraufführung in Jerusalem mit dem London Contemporary Dance Theatre wirkt das Stück aus der Zeit gefallen und statuarisch, was durchaus einen tanzhistorischen Reiz hat. Die unheilvolle Atmosphäre fesselt – nicht zuletzt durch die spannungsreiche Musik Howard Blakes.

Die Uraufführung von „Kasimir Malewitsch“ ist wieder ein Fest der Farben und Formen. Ausstatter Udo Hesse macht bildende Kunst lebendig: Geometrien, wie sie in „Dynamischer Suprematismus“ von 1916 zu sehen sind, und andere Werke, darunter eine Anspielung an das legendäre Schwarze Quadrat, hängen vom Bühnenhimmel. Davor tanzen kunterbunte Figurinen, die mit ihren klaren Formen von einem Bauhaus-Ballett inspiriert sein könnten. In Wahrheit war es umgekehrt: Der Vorreiter der Avantgarde inspirierte die Bauhaus-Künstler. Eine Geschichte von einem Maler und seiner Muse, die ihn so lange umgarnt, bis er sie wegstößt, hat North um den Künstler herumgesponnen. Stilistisch verbindet er virtuos Modern Dance und klassisches Ballett – typisch North. Allerdings übernimmt er in diesem Ballett einige der zirzensischen Figuren aus dem „Matisse“ und wiederholt sie zu oft. Und die Pathetik gegen Ende, wenn die Gruppe den Maler in die Höhe hebt, wirkt deplatziert. Was auch an Orchestersuite liegt, die der hauseigene Komponist und Pianist André Parfenov eigens für das Stück geschaffen hat. Anfangs fließt sie mit sanft-süßen Violinen dahin, verliert aber deutlich, wenn sie - dramaturgisch ohne erkennbaren Grund - die Melodramatik von Filmmusik annimmt.

„Tempus Fugit“ schließlich ist eine Freude für die Fans des akademischen Balletts – zieselierter Spitzentanz in schnell wechselnden Tempi zu verschiedenen Werken von Antonio Vivaldi. Es entstand 2005 für das Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse de Lyon. North hat es William Turner aus der romantischen Epoche gewidmet: Das Ensemble tanzt in pastellfarbenen Trikots vor einem Sonnenaufgang, dessen Konturen sich auflösen. Die sanfte Helligkeit mutet impressionistisch an. Das Naturmotiv erfüllt den Raum mit einem heiteren Licht, wie man es mit dem englischen Künstler verbindet.

Ein schöner Abend. „Farben der Welt“ – ein Ballett-Leuchten vom Niederhein.

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