Stadt-Teilchen Wie aus dem leuchtenden „M“ ein Heiligenschein wurde

Düsseldorf · McDonald’s an der Oststraße: Hier war es hell, wenn es überall anders schon dunkel war

 Die Lichter sind aus, jedenfalls die am Gebäude, in dem früher McDonald’s saß.

Die Lichter sind aus, jedenfalls die am Gebäude, in dem früher McDonald’s saß.

Foto: ja/Hoff

Man kann ja zu Fast Food stehen wie man mag. Man kann es grässlich finden, dass alles so schnell geht, man kann sich aber auch freuen, dass alles so schnell geht, dass man sich nicht rumärgern muss mit arroganten oder verträumten Kellnern. Man muss nicht lange warten, weil das meiste schon vorgekocht ist, man kann nach dem Essen aufstehen und gehen, ohne lange auf die Rechnung warten zu müssen.

Natürlich lässt sich trefflich streiten über den Gehalt der angebotenen Lebensmittel. Die sind halt mal so, mal so. Es gibt inzwischen durchaus auch gesundes Fast Food, das clevere Geschäftsleute auf den Punkt vorbereitet haben, wenn die Hungrigen einfallen.

 WZ-Kolumnist

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Foto: NN

Ich habe mir nie große Gedanken über den Sinn oder Unsinn von Fast Food gemacht. Ich habe es genutzt, wenn es passte, und wenn es nicht passte, habe ich es halt gelassen. Ich habe allerdings inzwischen eine Regel eingeführt für Essensaufnahme im Ausland. Dort verlasse ich mich bei schnellem Bedarf auf die großen Anbieter, denn die haben in der Regel Standards, die den Magen schützen.

Ich weiß, wovon ich rede, weil ich bei einer Zwischenlandung im mediterranen Ausland mal die örtliche McDonald‘s-Filiale verschmähte und mir bei einem kleinen Anbieter ein Thunfisch-Sandwich kaufte. Das hätte ich besser gelassen, denn der darauf folgende Flug war die Hölle. Mein Magen rumorte, als fände in ihm ein Heavy-Metal-Konzert statt, und mein Darm stimmte begeistert ein in diese Kakophonie. Dann doch lieber McDonald‘s.

Es ist nicht nur diese kleine Anekdote, die mir jetzt einfiel, als ich am Abend die Oststraße entlangfuhr und an der Ecke zur Graf-Adolf-Straße auf eine ungewohnte Dunkelheit stieß. Ich konnte das erst nicht einordnen, aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Mein McDonald‘s hat geschlossen. Inmitten des glitzernden Lichtermeeres an der Graf-Adolf-Straße ist nun ein dunkles Loch.

Ich erinnerte mich, dass es ein Tod mit Ankündigung war, denn schon Wochen vorher hatte es in der Zeitung gestanden, dass Düsseldorfs älteste Fast-Food-Filiale schließt. Ich habe das aber nicht weiter zur Notiz genommen und die Angelegenheit in die Kategorie „Die Graf-Adolf-Straße stirbt mal wieder“ eingeordnet. Als dann noch die Nachricht kam, dass „Licht im Raum“ bald schließt, dachte ich nur: Ach ja. Das änderte sich nun, als ich am geschlossenen McDonald‘s vorbeikam und mein Auto kurz hinter der Kreuzung anhielt. Dort hatte ich eine Art Nahtoderlebnis, weil auf einmal all meine McDonald‘s-Erlebnisse vor meinem geistigen Auge abliefen wie in einem Breitwandkino.

Ich erinnerte mich, wie ich 1972 mal eine Freundin getroffen hatte in dem Lokal, das später mal McDonald‘s beherbergen sollte. Ich war sehr verliebt und hatte nur Augen für sie, kann mich aber noch sehr gut erinnern an den arroganten Kellner, der uns am liebsten wieder rausgeworfen hätte, weil wir uns stundenlang an einer Cola festhielten und partout nicht nachbestellen mochten. Wir hatten halt kaum Geld damals, und da musste man sich die Zeit und die Cola schon einteilen. Man hatte ohnehin wichtigeres zu tun. Man musste die Dinge der Liebe regeln.

Wie schön war es da, als ein Jahr später der arrogante Kellner Geschichte war und es in dem Lokal gar keine Kellner mehr gab. McDonald‘s war eingezogen, und erst konnten wir nichts mit dem Laden anfangen. Wer brauchte schon plattgepresste Frikadellen zwischen zwei Pappbrötchenhälften? Wir nicht. Oder doch?

Erst hantierten wir eher ungeschickt mit den Dingern, und nicht nur einmal tropfte der Ketchup auf der falschen Seite aus dem Labberbrötchen. Aber das kriegten wir in den Griff, zumal wir eine zentrale Qualität des ersten McDonald‘s entdeckten. Man konnte sich dort treffen und ewig lange an einer Cola festhalten. Kein arroganter Kellner kam dann und fragte 20 Mal, ob es noch was sein dürfe. Wir saßen da rum und durften sein. Das mit den Frikadellenbrötchen nahmen wir in Kauf und auch das mit den komisch dünnen Pommes. Anderswo in der Stadt gab es bessere, aber in dieser Gaststätte stimmte für uns junge Menschen halt das Gesamtangebot.

Wie viel Stunden habe ich in diesem Lokal verbracht, und auch als unsere Clique auseinanderbrach, bin ich noch oft dort gewesen und habe in Erinnerungen geschwelgt. Wie oft habe ich Rast gemacht und mir abends noch auf die Schnelle etwas geholt. Mein Auto parkte dann in der zweiten Reihe auf der Oststraße, und nie hat sich jemand beschwert. Was waren das für entspannte Zeiten.

Mit der Zeit entwickelte sich diese McDonald‘s-Filiale zum Sehnsuchtsort. Dort bekam man Futter, wenn alle anderen Krippen in der Stadt längst die Auslagen geräumt hatten. Dort war es hell, wenn woanders schon die Lampen ausgegangen waren. Mit der Zeit interpretierte ich das Markenzeichen des Ladens um, und aus dem leuchtenden M wurde eine Art Heiligenschein.

Noch heute bekomme ich eigenartige Gefühle, wenn ich nächtens über die Autobahn donnere. Kommt dann irgendwo das leuchtende M in Sicht, seufze ich regelmäßig „McDonald‘s“, was meine Frau ebenso regelmäßig zu einem Seufzen animiert, allerdings zu einem leicht genervten. Sie schaut mich dann etwas mitleidig an und legt als Signal ihre Hand kurz auf meinen Bauch. Das ist eine zärtliche nonverbale Nachricht und soll mir sagen, dass da kein Frikadellenbrötchen mehr rein sollte. Meistens hat sie recht, und meistens setzt sie sich auch durch. Nur manchmal, wenn ich oft genug geseufzt habe, darf ich raus zum goldenen M.

Als ich nun an der geschlossenen Filiale vorbeikam, stellte ich fest, dass all das, was ich in dieses M hineininterpretiere, an der Graf-Adolf-Straße entstanden ist, dass hier die Keimzelle meiner verirrten Ess-Romantik liegt. Ohne dieses McDonald‘s fehlt mir was, dachte ich spontan.

Natürlich fehlt mir in Wahrheit nichts. Ich war schon Ewigkeiten nicht mehr dort essen. Ich bin immer nur vorbeigefahren, habe auf den Heiligenschein geschaut und „och“ gedacht. Dann bin ich weitergefahren und habe woanders gegessen. Oft besser, manchmal aber auch schlechter, und immer wenn ich zu viel Geld für schlechtes Essen ausgegeben habe, kam die Sehnsucht nach meiner McDonald‘sFiliale. Nicht nach der verkleinerten Filiale, die sie am Ende war, sondern nach der Ursprungsversion und der Zeit, als das Essverhalten der Düsseldorfer ab 1973 auf  eine besondere Probe gestellt wurde.

Nun ist es vorbei. Die Lichter sind aus, und ich finde, es fehlt was. Kann man nicht möglicherweise wenigstens die Leuchtschriften am Gebäude belassen und unter Denkmalschutz stellen? Es wird doch auch sonst jede Milchkanne, die länger an einer Stelle steht, in den Rang eines Denkmals erhoben. Da kann doch auch ein bisschen Leuchtschrift in die Denkmalliste. Das hätte einen großen Vorteil, denn dann wäre ich nicht immer so traurig, wenn ich dort lang fahre. Dann könnte ich annehmen, dass alles noch ein bisschen so ist, wie es mal war. Dann wäre Düsseldorf ein kleines bisschen wärmer unter dem großen M.

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