Behörde Einwohnermeldeamt: „Wir werden jeden Tag beleidigt“

Wuppertal · Weil die Behörde noch immer in Arbeit versinkt, bleibt die Stimmung angespannt. Bei den Bürgern, aber auch bei den Mitarbeitern.

 Yvonne Hartmann, Leiterin des Einwohnermeldeamtes, neben Sachbearbeiter Thorsten Labudde.

Yvonne Hartmann, Leiterin des Einwohnermeldeamtes, neben Sachbearbeiter Thorsten Labudde.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Im Bewerbungsgespräch fürs Einwohnermeldeamt testet Abteilungsleiterin Yvonne Hartmann besser schon einmal im Rollenspiel vorsorglich, wie die Anwärter auf rüde Beschimpfungen reagieren. Sie gehören nämlich bei der Arbeit an der Steinstraße zum Alltag. Weil es bei der Stadt seit Monaten kaum noch Termine für wichtige Bürger-Angelegenheiten wie Ausweisdokumente oder Führungszeugnisse gibt, ist bei vielen Bürgern der Geduldsfaden gerissen. Verständlich. Findet auch Yvonne Hartmann. Nur: Die Auswirkungen bekommen jetzt die Mitarbeiter zu spüren, die versuchen, unter extremen Bedingungen den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Hartmann berichtet: „Wir werden jeden Tag beleidigt. Das ist schon ganz normal.“ Etwa einmal die Woche müsse der Wachdienst gerufen werden, weil ein Kunde sich nicht mehr im Zaum hat. Den Mitarbeitern sei schon vor die Füße gespuckt worden.

Hartmann kennt die Situation nur zu genau: „Jeder, der zu uns kommt, hat ein dringendes Problem.“ Trotzdem müssten die Mitarbeiter täglich Besucher abweisen, weil die Kapazitäten einfach nicht reichen. „Das ist für uns auch sehr frustrierend“, sagt Hartmann. „Da kommt ein Vater mit seinem Kind zu uns, der dringend einen Reisepass benötigt, und wir müssen ihn wegschicken.“ Doch: Man könne nicht einfach so 50 Notfälle dazwischen schieben. Im Wartebereich am Steinweg sitzen fast nur noch Notfälle.

Wuppertaler bangte um seine Reise zu den US-Open

Seitenwechsel: Gerd Butzeck möchte die US Open im Juni besuchen und braucht daher bald einen neuen Reisepass. Er rechnete bereits damit, unter Umständen ein, zwei Monate auf einen Termin warten zu müssen - dass es aber im Internet bei mehrfachem Nachschauen gar keine verfügbaren Termine gab, verwunderte ihn: „Da bin ich schon nervös geworden.“ Beim Servicecenter habe man ihm geraten, entweder um 6 Uhr zum Meldeamt zu gehen und eine Stunde bis zur Eröffnung zu warten, um einer der ersten vor Ort zu sein, oder ab 6.30 Uhr im Internet zu schauen. Butzeck: „Das klingt in der heutigen Welt doch schon ziemlich merkwürdig.“ Das findet auch Andreas Wagner. Er ist auf seinen gültigen Reisepass beruflich angewiesen und bekam den gleichen telefonischen Hinweis. Er fragt perplex: „Ich soll einen Wecker stellen, um einen Termin für einen Reisepass online zu bekommen?“ Beide WZ-Leser hatten Glück. Anfang der Woche erwischten sie überraschend einen Online-Termin.

Bürger wie Gerd Butzeck, die ihren Urlaub in Gefahr sehen, haben aber unter Umständen schlechte Karten, wenn sie nicht hartnäckig bleiben. In die Kategorie „Notfall“ fallen sie nicht. Abteilungsleiterin Yvonne Hartmann sagt: „Nur Menschen, bei denen es um die Existenz geht, kommen bei uns immer dran.“ Das seien etwa Arbeitnehmer, die ohne Führungszeugnis die neue Stelle nicht antreten dürfen. Alle anderen müssen sich durchkämpfen.

Klar, dass sich Hartmann und ihr Team da viel anhören müssen. Auch viele gute Ratschläge. Warum werden nicht einfach schnell ein paar Leute eingestellt? Die Frage falle in der Behörde immer wieder. Die Antwort ist einfach: Die Stadt hat seit November bereits 25 neue Mitarbeiter eingestellt. Das bedeutet aber im Moment keine Entlastung, sondern zusätzlichen Arbeitsaufwand. Die neuen Kollegen müssen eingearbeitet werden. Erst fünf von ihnen nehmen erste Termine an. Die Einarbeitungszeit sei bereits auf ein Minimum heruntergesetzt worden, doch Hartmann erinnert: „Das hier ist eine qualifizierte Arbeit. Wenn wir etwas falsch machen, hat das immer ernste Konsequenzen.“ Da helfe es dem Team auch nicht weiter, dass sich mittlerweile auch Busfahrer und Bauarbeiter bewerben, um dem Amt mal eben aus der Krise zu helfen.

Die Krise, sie kann nicht mehr durch schnelle Manöver abgewendet werden. Dafür ist es zu spät. Zeitweise waren 2018 im Einwohnermeldeamt nur noch 30 von 43 Stellen besetzt, weil sich zu viele Kollegen weg beworben haben - auf attraktivere Stellen bei der Stadt. Eine besetzte Vollzeitstelle arbeitet rund 1000 Termine pro Jahr weg. Das Meldeamt hat tausende Versäumnisse aufzuholen. „Ostern wird hart“, sagt Hartmann.

Vor den Ferien brauchen noch mehr Bürger als üblich neue Ausweisdokumente. Eigentlich schreibt das Meldeamt die Betroffenen daher rechtzeitig an, um die große Welle, die auf einen Schlag kommt, zu verhindern. Doch in diesem Jahr fehlte auch dafür die Kapazität. Die Welle wird kommen. Aushalten müssen sie genau die Angestellten, die trotz allen Ärgers im Meldeamt die Stellung gehalten haben.

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