Begrabt mein Herz in Wuppertal Die Zeit bis zur Apokalypse

Fridays for Future: Kolumnist Uwe Becker findet, die Schüler sollten unbegrenzt streiken - nur nicht an den Wochenenden.

 Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Vor vielen Jahren, als ich noch der niedliche kleine Junge von nebenan war, da war von Klimaveränderung noch nicht die Rede. Ich bin damals so ungern in die Schule gegangen, und hätte es zu meiner Schulzeit bereits starke Klimaveränderungen gegeben, hätte ich mich über Streiks am Freitag bestimmt sehr gefreut, da wir an diesem Tag eh immer Mathematik, Physik und Chemie hatten, Fächer, die ich noch mehr verachtete, als die Schulpflicht im Allgemeinen. Meine Aversion gegen Schule war tausendmal stärker, als meine Angst um die Zukunft unseres Planeten. Ich muss gestehen, als kleiner Bub war ich schon sehr egoistisch.

Leider war der fast tägliche Gang in die Schule unumgänglich. Es gab natürlich Ausnahmen, die aber meistens schmerzvoll waren: Husten, Schnupfen, Brüche aller Art, Masern, Windpocken oder Brandverletzungen durch unachtsame Zündelei in Abwesenheit der Eltern. Wir Kinder spielten in den 1960-Jahren oft auf Trümmergrundstücken, da konnte man vom Boden essen, denn im Nachkriegsdeutschland wurden selbst die Überreste zerstörter Fabriken von fleißigen Witwen sauber gehalten. Die Luft war gesund, die Bienen summten und die Vögel zwitscherten in einer großen Auswahl. In den Sommermonaten löschten wir unseren Durst mit Bio-Regenwasser aus den Pfützen auf der Brändströmstraße. Wir mussten nur auf die Lkw Obacht geben, die knapp an uns vorbei knatterten.

Dass manche Schulen aus meiner Kindheit Jahre später ein vernichtendes Zeugnis bekamen, ahnten wir Kinder ja nicht: Bei der Ausstattung wurden Stoffe verwendet, die als flüchtige organische Verbindungen in die Raumluft gelangen, darunter giftige Weichmacher, Pestizide, Benzol, Asbest oder Formaldehyd. Heute wissen wenigstens schon fast alle Kinder, dass jeder Tag, den sie auf dieser kaputten Erde verbringen, höchst ungesund ist und bleibende Schäden hinterlassen wird.

Was viele nicht wissen, am 17. Juni 1961, wurde in Kahl, südöstlich von Frankfurt, bereits der erste Atomreaktor ans Stromnetz angeschlossen. Jedes Jahr wurde vom angrenzenden Bauernhof ein Schaf geschlachtet, um zu überprüfen, ob das Tier eventuell verstrahlt ist. Damals gab es noch keine Protestbewegung, und auch meine Eltern, die ich in den 1980-Jahren dazu einmal befragte, konnten sich nicht an das erste Atomkraftwerk erinnern. Warum sollten die Leute auch davor Angst haben, wenn einem versichert wurde, bei einem Reaktorunfall muss man sich lediglich eine Aktentasche über den Kopf ziehen und unter den Tisch kriechen? Bevor der Mensch sich auf der Erde schön breit machen durfte, haben die Dinosaurier unseren Planeten beinahe platt gemacht. Die Tiere waren viel zu schwer für diese Kugel, die einige heute noch für eine Scheibe halten. Gott sei Dank starben die Dinos irgendwann aus. Den Hauptgrund für ihr Verschwinden werden Verschwörungstheoretiker bestimmt besser als ich erklären können, aber wenn es sie interessiert, würde ich ihnen gerne meine Vermutung kurz darlegen: Ich denke, diese großen Viecher haben alles, was sie in der Natur fanden, schneller aufgefressen, als es nachwachsen konnte. Ich glaube, die Erschaffung dieser viel zu großen Lebewesen war der einzige Mega-Fehler, den die Evolution sich geleistet hat - muss nicht, kann aber passieren. Bei längerer Betrachtung, kommt einem der Verdacht, der Mensch ist anscheinend nicht geeignet, diesen kostbaren Planeten sorgsam zu behandeln und zu schützen.

Aber kommen wir zurück zum Kernthema: Unsere Kinder machen das sehr gut, ihr Engagement für die Umwelt ist vorbildlich. Der Ratschlag einiger Erwachsenen, die Kinder könnten doch am Wochenende demonstrieren, dann wäre der Schulpflicht Genüge getan, kommt bestimmt von Leuten, die in ihre Urlaubsplanung die Brückentage gerne geschickt miteinbeziehen, um aus fünf Wochen, höchst arbeitgeberfeindlich, aber straffrei, acht oder neun Wochen Freizeit zu machen. Ich plädiere übrigens für ein unbegrenztes, und tägliches Streiken der Kids (außer Samstag und Sonntag), um noch nachhaltiger auf eine Veränderung der Klimapolitik zu drängen. Wenn sich dann immer noch nichts zum Positiven wendet, müssen die Kinder auch kein Abi machen und studieren. Oder gar einen Beruf erlernen. Die Zeit bis zur Apokalypse kann man auch cool mit Netflixen und Chillen totschlagen.

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