Die Vorleserin aus Büderich

Sylvia Burk hat ein bewegtes Leben in der DDR hinter sich. Doch das ist eine Geschichte für Erwachsene. Kinder entführt sie in magische Märchenwelten.

Büderich. Alle zwei Wochen kommt Sylvia Burk dienstags ins Familienzentrum an der Gereonstraße und liest Kindern Märchen vor. "Das macht riesigen Spaß. Die Kleinen sind dann ganz still und aufmerksam", sagt die Büdericherin. Sie hofft, dass die Kinder durch ihren lebendigen Vortrag früh einen Zugang zum Lesen finden.

Sylvia Burk macht das ehrenamtlich. Ihr Engagement - vermittelt durch das Meerbuscher Ehrenamt-Forum - soll noch ausgeweitet werden: An der Barbara-Gerretz-Grundschule wird Burk Anfang kommenden Jahres mit Schülern der Theater AG ein Musical einstudieren. Text und Choreografie: Sylvia Burk.

"Ich habe das Stück innerhalb von zwei Tagen geschrieben. Alles ist in meinem Kopf - und in meinem Laptop."

Dass die 48-Jährige für Kreatives ein Talent besitzt, ist kein Geheimnis. Ihr Erstlingswerk Stigma ist gerade zum vierten Mal aufgelegt worden. "Es ist eine Lebensbeichte, die auf meinen Tagebuch-Aufzeichnungen basiert. Mein Herz war voll, das musste alles irgendwie raus", sagt Burk heute.

Stigma zeichnet vorwiegend ihren Lebensweg nach, auch wenn die Hauptfigur Vivien heißt. Es handelt von Burks Leben in der damaligen DDR, der zweimaligen Inhaftierung, vom Kampf um ihre Kinder, gegen ihre Mutter und nicht zuletzt gegen den Krebs.

Als Jugendliche in Dresden war die Tochter eines Opernsängers eine erfolgreiche Leichtathletin. Doch der Kontakt zur Großmutter machte die Enkelin aufsässig. "Ich habe wohl zu viele Fragen gestellt", sagt Burk rückblickend und weiß doch immer noch nicht so recht, warum sie als 18-jährige 1979 in den militärischen Strafvollzug in Dessau gesteckt wurde. Offizielle Anklage: asoziales Verhalten und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Von Honecker ein Jahr später amnestiert, konnte Sylvia Burk die Freiheit nur kurz genießen. Kurz nach der Geburt ihres Sohns Oliver wurde sie von 1981 bis 1983 erneut inhaftiert. Das Leben war auch im Anschluss nicht einfach: Mit der Mutter ("Ich weiß bis heute nicht, ob sie mich nicht denunziert hat") kämpfte sie danach um ihr Kind, bei der Geburt des zweiten Sohnes David wäre sie fast gestorben.

"Ich habe fünf Liter Blut verloren." Außerdem wurde ein bösartiger Krebs entdeckt - und gerade noch rechtzeitig entfernt. Wenig später starb die Mutter. Kurz nach dem Mauerfall begab sich Sylvia Burk für eine Operation mit ihrem jüngsten Sohn in den Westen - und blieb.

All diese persönlichen Erlebnisse und Schicksalsschläge hat sich Sylvia Burk, die nach der Wende offiziell als politisch Verfolgte anerkannt und rehabilitiert wurde, in Stigma von der Seele geschrieben. Ihren Frohsinn hat sie ohnehin nie verloren und sich in ihrem zweiten Leben sofort neuen Aufgaben gewidmet.

Sie absolvierte eine Ausbildung als Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft und arbeitete in ihrem neuen Beruf auch in Münster, Neuss und Düsseldorf. Inzwischen beschränkt sich die seit 1998 in Büderich lebende Autorin ganz auf das Schreiben, nachdem sie zuvor kleinere Rollen in Fernsehserien übernommen hatte.

Ihre ehrenamtliche Arbeit will sie weiter ausbauen: "Ich habe vieles mitgemacht und überlebt, jetzt will ich etwas zurückgeben. Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, in Altenheimen die Erzählungen von Zeitzeugen aufzuschreiben. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie gut es tut, wenn man jemandem seine Geschichte erzählen kann."

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