Kreis Mettmann Justiz nimmt die Clans ins Visier

Kreis Mettmann. · Die Gerichte stehen bei Prozessen gegen Mitglieder von kriminellen Clans vor besonderen Herausforderungen.

 Die Polizei muss bei den Prozessen gegen Clan-Mitglieder häufig auch Präsenz im Gerichtssaal zeigen.

Die Polizei muss bei den Prozessen gegen Clan-Mitglieder häufig auch Präsenz im Gerichtssaal zeigen.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Offenbar hatten sie sich ziemlich sicher gefühlt hinter dem Gemäuer eines Firmengebäudes in Langenfeld. Noch immer steht der Name am Briefkasten, die Türe ist versiegelt. Ein in Solingen ansässiger, deutsch-arabischer Familienclan soll dort illegal und dazu noch im großen Stil tonnenweise Wasserpfeiffentabak hergestellt haben. Als der Zoll im vergangenen Sommer an der Elberfelder Straße anrückte, wurden neben beinahe 3000 Kilogramm Tabak auch diverse Maschinen zur Herstellung und zur Verpackung sichergestellt. Dazu waren fünf Luxuskarossen und 22 700 Euro Bargeld eingezogen worden. Die Ermittlungen gegen die zwölf Beschuldigten sollen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.

„Das ist hier bei uns bislang das erste Clan-Verfahren, wo gegen eine Vielzahl von Familienmitgliedern einer Großfamilie ermittelt wird.“, war von Wolf Tilman Baumert zu hören. Die fünf Autos, die als Tatmittel beschlagnahmt wurden, seien von den Besitzern gleich wieder ausgelöst worden. Das sei rechtlich zulässig, so der Pressesprecher der Wuppertaler Staatsanwaltschaft. Auf die Probleme der Justiz mit kriminellen Clans angesprochen, winkt Baumert ab. „Jedes Verfahren wird hier nach den gesetzlichen Regelungen ohne Ansehen der Person oder des familiären Hintergrunds betrieben“, sagt er mit Blick auf Bedrohungen und Einschüchterungsversuche, die andernorts beklagt worden waren. Bei der Wuppertaler Staatsanwaltschaft sei das bislang jedenfalls noch kein Thema gewesen und auch im jetzigen Verfahren werde konsequent ermittelt.

Ein anderes Szenario gab es hingegen gleich nebenan beim Landgericht. Dort wurde 2018 der brutale Überfall auf einen Pensionär in Haan verhandelt. Auf der Anklagebank: drei Männer und eine Frau. Zwei der Täter sollen den 82-Jährigen über Stunden hinweg drangsaliert und sein Haus in Brand gesteckt haben, bevor sie die Flucht ergriffen. Beide hatten im Prozessverlauf einen weiteren Mittäter auf Fotos identifiziert, dabei soll es um ein Mitglied eines libanesischen Clans gehandelt haben. Der 23-Jährige kam in Untersuchungshaft und musste nur wenige Tage später im laufenden Verfahren als Zeuge aussagen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit verweigerte er die Aussage, mit der er sich möglicherweise hätte selbst belasten können.

Der ehemals Beschuldigte
verließ den Saal als freier Mann

Die Angeklagten wiederum konnten sich plötzlich nicht mehr genau erinnern und den vermeintlichen Mittäter somit nicht mehr zweifelsfrei identifizieren. Der ehemals Beschuldigte verließ kurz darauf den Saal als freier Mann unter dem Beifall von Freunden und Familienangehörigen. Die wiederum sollen zuvor die Angehörigen der Angeklagten bedroht haben, war zu hören – jedenfalls hatte sich der Vorsitzende Richter in öffentlicher Sitzung offenkundige Einschüchterungsversuche verbeten. „Es ist nie auszuschließen, das Druck auf Zeugen oder aussagewillige Mitbeschuldigte ausgeübt wird“, räumt Baumert ein. Um dagegen vorgehen zu können, brauche man allerdings konkrete Anhaltspunkte.

Andernorts hat man bereits Erfahrungen damit gemacht und weiß, wie schwer genau diese Beweise zu erbringen sind. „Da stehen auch schon mal Leute bei den Ermittlern vor der Haustüre und wünschen einen schönen Feierabend“, hatte der Essener Polizeipräsident Frank Richter beim Symposium „Clan-Kriminalität in NRW“ aus dem Polizeialltag berichtet. Zeugen würden ihre Aussagen widerrufen, oder es gebe diese Zeugen erst gar nicht, weil sich die Familienmitglieder nicht gegenseitig anschwärzen würden.

Wie soetwas abläuft, konnte man beim Prozess wegen der Streitigkeiten erleben, die vor zwei Jahren zwischen Mitgliedern der Hells Angels und einem libanesischen Clan in Erkrath eskaliert waren. Eine Hundertschaft der Polizei war angerückt, über dem Hochdahler Markt kreiste ein Hubschrauber. Am Ende hatte es verletzte Polizisten gegeben und drei Männer, die wegen des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt waren. Zwei wurden freigesprochen, einer kam mit zehn Monaten Bewährung davon. Es gab ein Handyvideo aus einem der umliegenden Hochhäuser, auf denen das Gerangel schemenhaft zu sehen war. Und viele Zeugen, von denen jedoch niemand etwas Genaues gesehen haben wollte. „Bei Personengruppen, die geschlossen schweigen, wird es schwierig“, weiß Baumert.

Es soll Gespräche mit einem „Friedensrichter“ gegeben haben

Schwierig wurde es in der Vergangenheit auch inmitten eines Mordprozesses, bei dem ein Mitglied einer libanesischen Großfamilie auf der Anklagebank gesessen hatte. Auch das Opfer stammte aus einem in Erkrath ansässigen Clan, und schon bevor man sich vor Gericht begegnete, soll es im Hintergrund diverse Gespräche mit einem „Friedensrichter“ gegeben haben. Was dort verhandelt wird, bleibt üblicherweise hinter den für die Justiz undurchdringlichen Mauern der beteiligten Familien verborgen. Zur Urteilsverkündung am Landgericht rückte eine Hundertschaft an, schwerbewaffnete Polizisten standen rings um das Gebäude, in den Gerichtsfluren und im Saal. „Es bestand die Gefahr, dass die Familien aneinander geraten“, so Pressesprecher Arnim Kolat. Am Ende war es ruhig geblieben, der Angeklagte wurde zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt.

Wie es nun im Prozess wegen des illegal hergestellten Wasserpfeifentabaks laufen wird, bleibt abzuwarten. Der Steuerschaden soll erheblich sein – noch ist nicht klar, wem der zwölf Beschuldigten welche Beteiligung zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.

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