A57 Wenn es an der Raststätte Geismühle Abend wird

Krefeld · Auf der Autobahn wird es ruhiger, auf dem Rastplatz ist immer etwas los: Ein Lkw-Fahrer aus Berlin sucht einen Platz für die Nacht und Tramperinnen eine Mitfahrgelegenheit. Ein Bankmitarbeiter findet erst dort Ruhe.

 Die beiden Tramperinnen Lea (26) und Mona (19) warten an der A57 auf eine Mitfahrgelegenheit.

Die beiden Tramperinnen Lea (26) und Mona (19) warten an der A57 auf eine Mitfahrgelegenheit.

Foto: DJ/Dirk Jochmann (DJ)

In der Abendsonne tauchen die Flügel der Geismühle über der A57 auf. Eine elektronische Anzeige fordert, nicht schneller als 100 Stundenkilometer zu fahren. Um 19 Uhr ist auf der Autobahn bei Krefeld an diesem Abend aber schon nicht mehr wirklich viel los. Wer auf den Rasthof Geismühle West auffährt, sollte trotzdem möglichst früh abbremsen. Gleich nach der Einfahrt verengen die ersten geparkten Lastwagen das Sichtfeld und teilweise auch die Fahrbahn. 90 Minuten später ist die an sich breit gehaltene Zufahrt zur vorgelagerten Tankstelle fast komplett zugeparkt. An der Tankstelle vorbei lassen sich aber noch direkt vor dem Raststätten-Restaurant und daneben Flächen für Autos finden.

„Wo willst du denn noch einen Parkplatz finden?“, fragt wenige Augenblicke später Enrico, Lkw-Fahrer seit 1991, der seinen Nachnamen nicht nennen will. „Damals war es noch schön“, sagt er. Und meint damit neben der Parkplatzsituation auf den Raststätten auch die entspanntere Verkehrslage auf den Autobahnen. Dem Mann mit dem Berliner Dialekt ist anzusehen, dass er einen Tag auf der Autobahn hinter sich hat. Fast 600 Kilometer von der „Berliner Ecke“ bis zum Rastplatz nach Krefeld.

Auf den beiden Anhängern seines Lastwagens sind riesige Beton-Elemente für eine Baustelle zu sehen. Die versperren jetzt die Fahrbahn, die an dem Restaurant vorbei wieder zurück auf die A57 führt. Dem Berufskraftfahrer macht das nichts aus. Er erlebt das täglich. „Ich habe nur noch zehn Minuten. Die brauche ich für die Parkplatz-Suche“, erklärt der 50-Jährige. Nach neun Stunden „Lenkzeit“ ist an diesem Tag für ihn Schluss. Bis zur nächsten Raststätte reicht es nicht mehr. Also wartet der 50-Jährige, bis genügend Autos aus der Parkplatz-Reihe verschwinden. Danach komme nicht mehr viel. „Was essen und dann schlafen.“ Um sechs Uhr morgens gehe es weiter.

Der Fahrer erinnert sich, dass er schon einmal auf dem Platz bei Krefeld Halt gemacht. Besonders in Erinnerung scheint ihm der aber nicht geblieben zu sein. Er stehe sowieso ungern auf Rastplätzen an der Autobahn. Da sei es laut, die Lastwagen stehen dicht an dicht und Kollegen, die um vier Uhr den Motor an werfen, sind für ihn Argumente dagegen. Kontakt mit Kollegen gebe es in der Regel ohnehin nicht. Lkw-Fahrer seien eher Einzelkämpfer: „Gardine zu und fertig.“

Ein ganz anderes Bild vermittelt eine Familie aus Frankreich. Für eine Pause breitet sie am Abend noch eine Picknick-Decke auf einem Stück Wiese aus. Dazu gibt es Pommes und Burger der Fast-Food-Kette in der Raststätte.

Einzelkämpfer sind auch Lena (26) und Mona (19) nicht. Die beiden wollen ihren vollen Namen ebenfalls nicht preisgeben. Müde Augen haben sie. Sie hoffen, die Raststätte so schnell wie möglich wieder verlassen zu können. Seit einer halben Stunde sind die beiden jungen Frauen auf der Suche nach einem Auto, das sie weiter in Richtung Erkelenz mitnimmt – und sei es nur ein Stückchen. Für sie ist es die letzte Etappe. Ihr Ziel ist ein Klima-Camp in Erkelenz. Mit hunderten erwarteten Besuchern wollen sie ein Zeichen gegen die Kohleverstromung im rheinischen Revier setzen. Gestartet sind sie an diesem Tag im Harz – in gut 400 Kilometer Entfernung. An diesem Abend würden sie gerne „einfach nur noch ankommen“. Die Entscheidung, zu trampen, gehöre dabei zum Konzept. Um die Umwelt zu schonen, wollen sie Fahrzeuge nutzen, die sowieso schon unterwegs sind. Lustigerweise seien sie dabei auch mit einem Filialleiter von Mercedes unterwegs gewesen. Der Rastplatz bei Krefeld sei für sie — wie für viele andere Reisende auch — ein „Durchgangsort“. Ein paar Minuten müssen sie aber noch abwarten.

Für einen anderen Besucher ist der Rastplatz weder die Zwischenstation einer Reise, noch wird er hier die Nacht verbringen. Die Fahrertür seines geparkten Dienstwagens steht offen. Auf seinem Schoß ein Laptop. Was er hier macht? „Backoffice — alles, was ich den Tag über nicht schaffe“, ist die Antwort des 43-Jährigen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er arbeite für eine große Bank im Investmentbereich und sei dafür im gesamten Ruhrgebiet unterwegs. Den Rastplatz an der A57 suche er häufiger auf — „um Ruhe zu haben“. Auch Zuhause gebe es die nicht. Da warten Frau und Kinder. Ob er zu viel arbeitet? Wieder ein Lächeln in einem Gesicht mit müden Augen. Es gebe einen Trend dazu, „mehr Arbeit auf weniger Leute“ aufzuteilen. Zuhause wolle er dann nicht mehr arbeiten, sondern für die Familie da sein. Von seinen Überstunden auf dem Rastplatz erzähle er ihnen aber nichts. Zwischenzeitlich haben die Umwelt-Tramperinnen eine Mitfahrgelegenheit gefunden. „Meinen Töchtern würde ich das nicht erlauben“, kommentiert das der Bankmitarbeiter, bevor er sich wieder seinem Laptop widmet.

Ein Lastwagen aus Österreich ergattert einen der letzten Plätze

Gegen 20 Uhr schnappt sich ein Lkw mit österreichischem Kennzeichen einen der letzten Lastwagen-Parkplätze, der noch frei geworden ist. Das Einparken dauert mehrere Minuten. Viel Platz zum Manövrieren bleibt am Ende des Tages nicht mehr. „Ich mache mir aber keinen Stress“, sagt der Fahrer. Die Zeiten seien vorbei. Sein norddeutscher Akzent will nicht zum Kennzeichen passen. Das Ziel schon: Nach einer Nacht in Krefeld soll es für den 56-Jährigen am nächsten Tag weiter nach Graz gehen. Den Krefelder Rastplatz steuere er öfter an. Auch für ihn werde es kein langer Abend mehr. Ein bisschen Fernsehen in der Kabine und dann schlafen.

Vom Parkplatz aus ist die denkmalgeschützte Geismühle, nach der der Rastplatz benannt wurde, gar nicht so leicht zu sehen. Abgestellte Lastwagen versperren den Blick. Für den Bauverein Geismühle, der auch Führungen anbietet, spielen die Autobahn und der Rastplatz trotzdem eine wichtige Rolle. Besonders an offenen Sonntagen gebe es „spontane Besucher-Zuwächse“ erklärt Willi Hanenberg vom Bauverein Geismühle, der das Bauwerk wieder funktionstüchtig gemacht hat. Die fallen seiner Ansicht nach in Zukunft weg, wenn die Raststätte umgebaut wird und es keinen direkten Zugang mehr von der A57 aus geben soll. Am Abend ist nur noch ein Spaziergänger mit einem Hund an dem imposanten Bauwerk zu sehen.

Um 20.30 Uhr fällt an diesem Abend kein Sonnenlicht mehr auf die Mühle. Und auch Lkw-Fahrer Enrico zieht die Gardinen seiner Fahrerkabine zu. Der Lastwagenfahrer aus der „Berliner Ecke“ hat seine Zugmaschine schließlich quer auf den Pkw-Parkplätzen vor dem Rastplatz-Restaurant geparkt. Am nächsten Abend wird dort wohl ein Kollege aus einer anderen Himmelsrichtung die Nacht in Krefeld an der A57 verbringen.

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