Interview „Ich gehe weiter stolz mit Kippa auf die Straße“

Düsseldorf · Rabbiner Chaim Barkahn erzählt, wie er die antisemitische Beleidigung auf offener Straße im Sommer verkraftet hat und welche Schlüsse er aus dem Vorfall zieht.

 Rabbiner Chaim Barkahn im Gespräch mit WZ-Redakteur Alexander Esch.

Rabbiner Chaim Barkahn im Gespräch mit WZ-Redakteur Alexander Esch.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Ein halbes Jahr ist es her, dass Rabbiner Chaim Barkahn bei Facebook davon berichtete, wie er am 16. Juni 2019 auf offener Straße in Düsseldorf antisemitisch beleidigt und verfolgt worden war. „Scheißjude“ hatte der Mann unter anderem gesagt, wie der Rabbi der orthodoxen Gemeinde Chabad Lubavitch Düsseldorf später konkretisierte. Zudem beschrieb er den Täter dann als „arabisch aussehend“. Der Fall sorgte für enorme Betroffenheit in Düsseldorf, auch deshalb, weil Barkahn schrieb: „Leider habe ich nun zum ersten Mal das Gefühl, als Jude nicht mehr sicher in Düsseldorf zu sein.“ Wir haben den 43 Jahre alten Düsseldorfer getroffen, um ihn zu fragen, wie er die Tat verarbeitet und welche Konsequenzen er aus ihr gezogen hat.

Rabbiner Chaim Barkahn, ist der Mann, der Sie attackiert hat, gefasst worden?

Barkahn: Nein, ich habe zwei Tage nach der Tat Anzeige erstattet, die Polizei hat mich deshalb sogar angerufen, nachdem der Fall öffentlich war. Einen Monat später bekam ich dann die Nachricht der Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren eingestellt wurde, weil der Täter nicht zu ermitteln war. Das ist schon eine Enttäuschung. Dass der Mann nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, hinterlässt bei mir ein bitteres Gefühl. Allerdings soll das kein Vorwurf an die Behörden sein, sie haben sehr schnell reagiert und sicher alles getan, was möglich war.

Ist Ihnen seit dieser Beleidigung etwas Ähnliches passiert?

Barkahn: Nein.

Sie schrieben im Sommer, dass Sie sich nicht mehr sicher in Düsseldorf fühlen würden. Hat das Gefühl angehalten?

Barkahn: Nein, ich fühle mich wieder sicher. Sie müssen verstehen: Ich liebe diese Stadt, ich lebe hier seit fast 20 Jahren, meine Kinder wachsen hier auf. Und obwohl meine Heimat Israel ist, ist Düsseldorf mein Zuhause, ich fühle mich im Viertel rund um die Gemeinde an der Bankstraße in Golzheim sehr wohl, ich kenne viele Menschen hier. Deshalb war es so, als ob ich in meinem Wohnzimmer angegriffen worden wäre. Das hat mich so erschüttert und unsicher werden lassen. Doch das ist heute wieder anders, vor allem, weil ich so viel Unterstützung bekommen habe. Das gilt insbesondere für die muslimische Gemeinde, die darauf reagierte, dass der Täter vermutlich einen muslimischen Hintergrund hatte. Der große Zuspruch insgesamt hat sehr gut getan und mich wieder sicher und wohl fühlen lassen.

Wie haben Sie die Attacke persönlich verarbeitet, haben Sie sich danach vorsichtiger auf der Straße bewegt?

Barkahn: Ich bin eigentlich immer schon vorsichtig gewesen, dieses Verhalten ist mir fast in den Instinkt übergegangenen. Ich gucke also beispielsweise immer mal: wer ist gerade hinter mir. Das sollte natürlich eigentlich nicht so sein, aber so ist es.

Wie hat die Gemeinde auf den Vorfall reagiert?

Barkahn: Es gab wie gesagt viel Unterstützung für mich. Aber viele unserer Mitglieder haben auch von ihrer Angst berichtet. Eine Familie wollte beispielsweise eine große Feier ausrichten, wollte das aber nicht zu Hause machen, sondern lieber in den Gemeinderäumen, da diese besser geschützt sind.

Welche Konsequenzen ziehen Sie als Gemeinde sowohl aus dem Angriff auf Ihre Person als auch auf Reaktionen wie diese in ihrer Gemeinde?

Barkahn: Wir werden im nächsten Jahr beispielsweise zum ersten Mal einen Selbstverteidigungskurs anbieten, auch einen Erste-Hilfe-Kurs wird es geben. Zudem sind die Sicherheitsvorkehrungen für unsere Gemeinderäume noch einmal verschärft worden. Wir tun alles, um das Sicherheitsgefühl zu stärken. Und das ist dann auch die Basis dafür, weiter selbstbewusst als Juden auf die Straße zu gehen, mit Kippa und mit Zizit. Wenn wir anfangen, uns zu verstecken, dann können wir am Ende auch gleich zu Hause bleiben.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, hat ja vom Kippa-Tragen in der Öffentlichkeit abgeraten. Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, sagt, dass verantwortlich handelnde Funktionäre jüdischer Gemeinden ihren Mitgliedern eigentlich empfehlen müssten, Deutschland zu verlassen, auch wenn man das noch nicht mache.

Barkahn: Ich akzeptiere diese Meinungen, aber ich sehe das anders, ich gehe weiter stolz mit Kippa auf die Straße. Die jüdische Geschichte ist seit Jahrhunderten eng mit der deutschen Geschichte verbunden. Die jüdische Kultur gehört zu Deutschland. Gerade, wenn es Schwierigkeiten gibt, sollten wir uns darauf besinnen. Ich plädiere dafür, die jüdischen Gemeinden noch mehr zu öffnen. Deshalb möchte ich gerne ein Projekt anstoßen, dass die Rabbiner nach Absprache mit den lokalen Behörden in die Schulen und Kitas gehen und über jüdischen Glauben aufklären und über jüdische Geschichte in Düsseldorf berichten. Wir müssen als die verantwortlich Handelnden öffentlich Stärke zeigen, ansonsten verbreitet sich erst recht Angst unter jüdischen Gemeindemitgliedern.

Hören Sie denn von Ihnen, dass sie Deutschland verlassen wollen?

Barkahn: Nein, bei uns nicht.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Antisemitismus?

Barkahn: Zunächst einmal ist das eine weltweite Entwicklung, die aber auch in Deutschland zu beobachten ist. Was mir passiert ist, geschieht vielfach auch in anderen Städten, das wird mir von vielen Freunden berichtet. Die Situation verschärft sich.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Barkahn: Zunächst einmal gab es immer einen Teil der Bevölkerung, der antisemitisch eingestellt ist. Durch eine Verrohung der Sprache, die auch von einer Partei wie der AfD betrieben wird, wird dieser Teil der Gesellschaft nun sichtbarer, auch durch Attentate wie in Halle. Hinzu kommt, dass ein Teil der muslimischen Flüchtlinge antisemitische Einstellungen mit nach Deutschland gebracht hat.

Was wünschen Sie sich von Polizei und Politik?

Barkahn: Es muss noch mehr für die Sicherheit getan werden, mit mehr Sicherheitspersonal, mehr Videoüberwachung, mehr Sperranlagen. Das passiert ja auch, wir treffen da immer auf sehr offene Ohren bei den Behörden.

Ist das nicht ein Widerspruch zu der von Ihnen gewünschten Offenheit?

Barkahn: Das sehe ich nicht so. Nur aus dem Gefühl der Sicherheit heraus ist überhaupt eine Öffnung möglich. Bei einer Operation reicht es auch nicht, nur zu beten, man braucht auch einen guten Arzt.

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