Tanz Wenn Funkemariechen plötzlich das Lächeln vergeht

Der Auftakt des Impulse-Theaterfestival ist geglückt – nicht zuletzt wegen einer ganz neu interpretierten Tanzgarde.

 Die Tanzgarde der Stadt Düsseldorf zeigt „Witness“ beim Impulse Festival im Tanzhaus. Und überrascht das Publikum.

Die Tanzgarde der Stadt Düsseldorf zeigt „Witness“ beim Impulse Festival im Tanzhaus. Und überrascht das Publikum.

Foto: Reuth Shemesh

Sie marschieren ein, in mitternachtsblauen Uniformen, strammen Schritts, mit wippenden Blond-Zöpfen und mit im Kreis schwingenden Armen. Das können die Funkemariechen der Katholischen Jugend Düsseldorf aus dem Effeff. Doch der Ort – das Tanzhaus NRW – ist ungewöhnlich für die Frauen-Kompanie der Landeshauptstadt, die von Ulla Gerling trainiert wird. Doch kein Grund zur Panik für Karnevalsmuffel: Es ist nicht schon wieder Narrenzeit. Die Tänzerinnen der Jecken waren nur am Donnerstagabend zu Gast im Stammhaus der freien Tanz- und Theaterszene. Sie eröffneten das „Impulse-Theaterfestival“ mit einer Performance, die dem Gardetanz-Drill auf den Grund gehen und ihn mit all seinen Facetten beleuchten will.

Wenn Oberbürgermeister Thomas Geisel bei seiner Ansprache auch eine „Referenz an den Karneval“ wittert, so ist dem Zuschauer danach weniger zum ausgelassenen Lachen zumute denn zum Nachdenken über die einzelnen Garde-Ballerinen. Wie Soldatinnen des Karnevals stolzieren sie im Rhythmus, stellen sich in Positur. Klatschen in die Hände. Stillgestanden! Hände in die Hüften gestemmt.

Die Präzision der Schritte ist genauso einstudiert wie ihr freundliches Gesicht, möglichst dem Publikum zugewandt. Ihr Lächeln wirkt wie angeknipst. Die erste Sequenz des Stücks „Witness“ (von Reut Shemesh) läuft ohne Musik. Nur zwischendurch wabern Akkorde eines poppig arrangierten Karnevals-Marschs durch das Tanzhaus-Foyer. So erscheinen die Bewegungen den Besuchern, die zum Teil auf dem Boden sitzen, noch unmittelbarer, noch authentischer als bei Jecken-Sitzungen, bei denen die Funkemariechen als schmückendes Beiwerk auftreten. Sie springen in die Höhe, einige liegen auf den Armen der anderen, kreischen, rutschen oder springen in den Spagat.

Alles ist wie sonst. Fast alles. Denn plötzlich lächeln sie nicht mehr, lassen Gesichtszüge hängen. In Zeitlupe gleiten ihre Arme langsam am Körper herunter. Ihre stramme Haltung geben sie auf und erlauben kurz einen Blick in Erschöpfung und Befreiung vom Drill. Man darf gespannt sein, wie die Performance von Shemesh weitergeführt wird; denn dies war nur ein Ausschnitt. 2020 soll „Witness“ (Zeuge) uraufgeführt werden, mit Unterstützung der Kunststiftung NRW, die auch dem „Impulse“-Festival – mit Spielorten auch in Köln und Mülheim/Ruhr – eine Finanzspritze zukommen ließ.

Ein Denk-Impuls über regionale Karnevals-Kultur könnte von diesem Stück ausgehen. Wie von vielen Produktionen, die in den kommenden zehn Tagen in den drei Städten an Rhein und Ruhr gezeigt werden. „Interdisziplinär und frech“ soll’s jedenfalls auch in der 29. Ausgabe des Traditions-Festivals der Off-Szene werden – das versprachen Kathrin Tiedemann (FFT) und NRW-Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen in Grußworten.

Ob die „Sportstadt Düsseldorf“ (Zitat Thomas Geisel) von der zweiten Eröffnungs-Performance der Münchener Gruppe „Hauptaktion“ einen Impuls erhält, bleibt indes fraglich. In „Zweiter Versuch über das Turnen“ (u.a. von und mit Tänzer Oliver Zahn) stehen acht Turn-Tänzer vor einer Leinwand, vollführen Übungen – ähnlich wie in einst bekannten Turnerfesten. Man bewegt sich synchron, hüpft und beugt sich, meist in Reih’ und Glied. Individuen sollen zusammenwachsen und somit zu einer „Nation“ verschmelzen. Komisch wirken einige der Szenen des Schauturnens nur zu Beginn der 60-Minuten-Vorführung, wenn im Hintergrund ein kommentierender Film vom Turnfest 2017 zu sehen ist.

Jahr für Jahr durchlaufen die Filmausschnitte dann 200 Jahre rückwärts – bis 1813, zum ersten Schauturnen mit Turnvater Jahn. So mutiert das Stück zunehmend zu einer Geschichtsstunde zum Thema Turn-Bewegung als Quelle für nationale und liberale Demokratiebewegung im 19. Jahrhundert. Fazit: Als Ausstellung sicherlich sinnvoll, als Performance untauglich. Zumal ausgerechnet derNationalsozialismus ausgespart wird, stattdessen auf das Turnfest von 1938 in „Deutsch-Südwest-Afrika“ (heute Namibia) hingewiesen wird.

Termine und Tickets: , Telefon: 87678713, www.impulsefestival.de

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