EM-Kader Nominierung Unsere Kaderanalyse: Löw hat den bestmöglichen Kader nominiert

Meinung · Joachim Löw hat am Mittwoch den Kader für die Fußball-Europameisterschaft bekannt gegeben. Die Mannschaft besitzt internationale Klasse und sollte bei dem Turnier weit kommen. Eine Einschätzung.

 Jogi Löw geht einen mutigen, aber richtigen Schritt vor der EM.

Jogi Löw geht einen mutigen, aber richtigen Schritt vor der EM.

Foto: dpa/Thomas Böcker

Der DFB hat seit dem WM-Titel von Rio 2014 einiges falsch gemacht. Und auch Joachim Löw wurde von vielen zurecht kritisiert. Unter anderem hat er nach dem Ausscheiden 2018 zu spät Konsequenzen gezogen. Umso bemerkenswerter ist sein Sinneswandel vor seiner nun anstehenden letzten EM. Um, wie er sagt, „das Bestmögliche rauszuholen“, ist er bei der Kadernominierung über seinen Schatten gesprungen. Eine WZ-Einschätzung zum heute nominierten Kader der Nationalmannschaft:

Dass die Weltmeister Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng als vermeintliche Sündenböcke für den anhaltenden Misserfolg vor zwei Jahren aussortiert wurden, haben viele Kritiker bis heute nicht verstanden. Löw wollte einen radikalen Umbruch der Mannschaft erreichen. Dieses Ziel ist in Teilen gelungen, für ein großes und bedeutendes Turnier war die Entwicklung jedoch nicht ausreichend. Deshalb gebührt Löw Respekt, dass er nicht auf seiner Meinung von vor zwei Jahren beruht und jetzt mit Mats Hummels und Thomas Müller zwei Anker ins Nationalteam zurückholt.

Wenn es im deutschen Team eines nicht gibt, dann ist es ein Torwart-Problem: Welttorhüter Manuel Neuer geht als bester Torwart der Welt ins Turnier, jeder weiß, zu welchen Leistungen er fähig ist. Auch wenn Marc-Andre Ter Stegen verletzungsbedingt abgesagt hat, stehen mit Kevin Trapp und Bernd Leno sichere Keeper mit internationaler Erfahrung bereit. Das Trio gehört auf dem Papier ohne Frage zum Besten der EM.

Auch wenn die Abwehr in der Nations League und einigen Freundschaftsspielen nicht eingespielt wirkte, kann Löw aus dem Vollen schöpfen. Mit dem oben genannten Hummels steht ihm einer der besten Innenverteidiger der Welt zur Verfügung. Antonio Rüdiger vom FC Chelsea dürfte wohl der Nebenspieler werden. In der Rückrunde spielte er bei den Blues eine überragende Serie und kann diese nächste Woche mit dem Champions League-Titel krönen. Ob Löw mit Dreier- oder Viererkette spielt, wird bei der EM sicher auch an den Gegnern liegen.

Eines steht fest: Mit Matthias Ginter und Emre Can kann er auf zwei weitere Top-Verteidiger für das Zentrum zurückgreifen. Robin Koch stünde als Backup sofort bereit. Christian Günter, der in Freiburg seit Jahren von allen übersehen worden ist, hat sich die Nominierung mehr als verdient. Robin Gosens aus Bergamo sowie Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg aus Leipzig sind zudem pfeilschnell auf der Außenbahn. Mit Kylian Mbappé und Cristiano Ronaldo kommen in der Vorrunde bereits echte Brocken auf die Mannschaft zu. Mit einer erfahrenen Abwehr, die sich eingespielt hat, sollte dies aber zu meistern sein.

Mittelfeld und Sturm im deutschen Team sind mit einigen Champions-League-Siegern durchsetzt. Ob Toni Kroos nach Covid-Infektion im Vollbesitz seiner Kräfte sein wird, bleibt abzuwarten. Ilkay Gündogan, Leon Goretzka und Joshua Kimmich sind allesamt Weltklasse-Spieler auf ihren Positionen und in München und Manchester seit Jahren nicht wegzudenken. Mit Jamal Musiala nimmt Löw einen jungen, unberechenbaren Spieler mit, der den Unterschied machen kann, dann wohl vor allem als Joker. Mit seiner Unbekümmertheit hat er in der Bundesliga in diesem Jahr für Furore gesorgt. Diesen Schritt wäre der Bundestrainer 2018 wohl noch nicht gegangen.

Dazu hat Löw mit Jonas Hofmann und Florian Neuhaus ein Gladbacher Duo nominiert, das sich bestens kennt. Das Gleiche gilt für die Bayern-Flügelzange, bestehend aus Serge Gnabry und Leroy Sanè. Timo Werner wechselte vor der Saison für 60 Millionen an die Stamford Bridge zum FC Chelsea und dürfte gereift sein. Und: Auch wenn er einige Großchancen hat liegen lassen, ist er Topscorer der Londoner. Dass dann mit Kevin Volland endlich auch ein „richtiger“ Neuner im Kader steht, wird Löw mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bereuen. Diesen Kritikpunkt hatte er zuvor lange Zeit ignoriert – und wurde 2018 dafür hart bestraft. Volland spielt eine starke Saison in Monaco und hat sich die Nominierung absolut verdient.

Auch wenn Joachim Löw in der heutigen Pressekonferenz zur Nominierung kein konkretes Ziel ausgegeben hat, müsste er mit diesem Kader mindestens das Halbfinale erreichen können. Deutschland war immer schon eine Turniermannschaft, wenn man das Debakel von 2018 mal ausklammert. Mit diesem Kader, gespickt aus Erfahrung und jugendlicher Unbekümmertheit, hat Joachim Löw eine sehr gute Mischung gefunden. Warum er eine ähnliche Mischung nicht bereits seit 2018 zusammengestellt hat, bleibt sein Geheimnis. In der Nations League und den Freundschaftsspielen konnte die Mannschaft zwar nie wirklich überzeugen, wenn sie sich aber bis zum 15. Juni eingespielt hat, kann durchaus Großes gelingen.

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