Schauspielhaus in Wuppertal: Bis Gras über die Sache wächst

Wuppertals Schauspielhaus fristet seit fünf Jahren ein Dasein im Wartestand. Wenn es gut läuft, entsteht es als Tanzzentrum neu, wenn nicht, droht ihm die Abrissbirne.

Schauspielhaus in Wuppertal: Bis Gras über die Sache wächst
Foto: Andreas Fischer

Das Haus hat viele Sternstunden erlebt. Premieren und Galas, große Schauspiele und immer wieder das Pina Bausch Ensemble. Es war, als es 1966 eröffnet wurde, ein Signal der Kunst an die Gesellschaft. Deshalb war es auch kein Zufall, dass Heinrich Böll und Bundespräsident Heinrich Lübke zur Eröffnung kamen. Dass Bölls Rede über „Die Freiheit der Kunst“ weitaus größere Spuren hinterlassen hat als die Grußworte des Bundespräsidenten, gibt Auskunft über die Zeit, in der Gerhard Graubner sein heute unter Denkmalschutz stehendes Haus für Wuppertal errichtete. Die 1960er Jahre waren in ihre zweite Hälfte getreten, überall auf der Welt roch es nach Rebellion, nach Aufbruch, nach der Sehnsucht, die Ketten zu sprengen, die Nationalismus und Militarismus um den alten Kontinent gelegt hatten. Die Jugend begann auch in Deutschland aufzubegehren. Die Bühnen der Republik dienten dazu ebenso als Ventil wie die Hochschulen.

Wuppertal war damals kulturell eine noch bedeutendere Stadt als heute. Es galt als ein Zentrum Westdeutschlands für bildende Künste. Galerien unterhielten weltweit Kontakte und waren Treffpunkte für Intellektuelle aus aller Herren Länder.

Heinrich Bölls Aufforderung, der Kunst ihre gleichsam naturgegebene Freiheit zu lassen, passte deshalb zum 24. September 1966. Sie passte zur Eröffnung des Schauspielhauses und sie passte nach Wuppertal. Vielleicht hat der große Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger in weiser Voraussicht geahnt, wie sehr die Regeln der Marktwirtschaft die Kultur in ihrer Freiheit dereinst einschränken würden. Das Schauspielhaus hat Wuppertal sich seinerzeit mit allem Drum und Dran etwa elf Millionen D-Mark kosten lassen. Geschlossen wurde es 2013 letztlich deshalb, weil 6,5 Millionen Euro für seine Sanierung zu viel gewesen sind. Wuppertal ächzte und ächzt unter einem 80 Millionen-Euro-Sparprogramm, das Stadtkämmerer Johannes Slawig (CDU) Wuppertal aufgebürdet hat. Er war Überbringer der schlechten Nachrichten. Ihr Erzeuger war er nicht.

Wuppertal ist einmal eine reiche Stadt gewesen. Textilveredelung, Textilmaschinenbau, Chemie, Haushaltsgeräte von Weltruf, bergische Tüftler, die nach dem 2. Weltkrieg halfen, das Auto aus deutschen Landen zur Siegesfahrt um die Welt zu starten. In so eine Stadt gehört ein umfassendes Kulturangebot. Deshalb wurde das im Krieg zerstörte Barmer Opernhaus wieder aufgebaut. Und der Beschluss zum Bau des Schauspielhauses sollte die Übergangszeit des Ensembles in der Historischen Stadthalle beenden. Der Auftakt mit Nathan der Weise und Else Lasker-Schülers „Die Wupper“ war glanzvoll und fand in den Feuilletons deutschlandweit ein Echo, nicht nur wegen der beeindruckenden Rede Bölls, sondern auch wegen des Signals, das Wuppertal in diesen 1960er Jahren setzte.

Es ist Zufall, dass in Solingen vor nun beinahe 80 Jahren eine Frau geboren wurde, die das Ballett zum Tanztheater machen und es damit revolutionieren sollte. Es ist kein Zufall, dass diese Revolution in Wuppertal stattfand. Das Bergische Land war irgendwie immer schon eine Region von Menschen, die eigensinnig sind, die neue Wege beschreiten und dabei stur ihr Ziel verfolgen. Arno Wüstenhöfer war Intendant in Wuppertal, als Pina Bausch eine Heimat für ihre Tanztheater-Visionen suchte. Wüstenhöfer gab ihr den Raum, entgegen aller Widerstände. Die Buhrufe und zugeschlagenen Türen des Schauspielhauses in der Frühphase des Pina-Bausch-Ensembles sind heute Legende und hallen vermutlich sich selbst verhöhnend noch heute durch den längst leeren, seit Jahren unbespielten Saal an der Kluse.

Es ist eine Fügung des Schicksals, dass ausgerechnet die zunächst ausgebuhte, dann weltweit gefeierte Choreographin postum Retterin des Schauspielhauses werden könnte. Seit Jahr und Tag geistert der Plan durch die Republik, aus dem Graubner-Bau das internationale Tanzzentrum Wuppertal zu machen. Die Umbaukosten von knapp 60 Millionen Euro liegen bereit, zur Hälfte vom Bund, der Rest vom Land NRW und der Stadt Wuppertal aufgebracht. Dass noch kein Maurer das Gebäude betreten hat, liegt allein an der Tatsache, dass die Betriebskosten des „Wupperbogen“ genannten Tanz- und Begegnungszentrums noch nicht gedeckt sind.

Von insgesamt 14 Millionen Euro pro Jahr ist die Rede, die Bund, Land und Stadt sich bestenfalls teilen sollen. Doch das Kultusministerium ziert sich. Alle gemeinsamen diplomatischen Bemühungen von Stadt und Land haben noch nicht gefruchtet. Auch die Einzeldiplomatie des Oberbürgermeisters Andreas Mucke (SPD) hat sich bisher als nicht produktiv erwiesen.

Geldmangel, Unentschlossenheit, diplomatische Kontraproduktion sind der Stahl, aus dem das Damoklesschwert geschmiedet wurde, das über dem Wuppertaler Schauspielhaus an der Kluse schwebt. Es hängt an einem seidenen Faden, der mit jedem Tag dünner wird. Baufachleute rechnen mit Kostensteigerungen von 100 000 Euro pro Monat. Jedes Jahr, in dem nichts getan wird, schmälert den Gegenwert der bereitgestellten Sanierungssumme um 1,2 Millionen Euro.

Allzu lange kann Wuppertal mithin nicht mehr auf die Zusage des Kultusministeriums warten. Es ist möglich, dass das Geld fürs Bauen nicht mehr reicht, wenn sich in Berlin doch noch die entscheidenden Menschen besinnen, das in Wuppertal geborene Tanztheater als das anzuerkennen, was es ist: ein deutsches Kulturerbe, das Weltformat hat.

Und wenn nicht: Dann setzt sich fort, was heute bereits zu sehen ist. Es wächst Gras über die Sache. Doch auch dieser Prozess währt nicht ewig. Eines Tages kommen die Bauarbeiter — trotz des Denkmalschutzes. Aber nicht, um dem legendären Schauspielhaus eine neue Zukunft zu errichten. Sie kommen, um es niederzulegen. Um es abzureißen.

Mit dem Geld endet die Freiheit, die Kunst.

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