Die zweite Wahl ist ein Volltreffer

Als Don Quijote hat Marco Wohlwend die viel berühmtere Erstbesetzung nach wenigen Augenblicken vergessen gemacht. Dass der Star abgesagt hat, entpuppt sich als Glücksfall.

Die zweite Wahl ist ein Volltreffer
Foto: Dr. Heinrich Brinkmöller-Becker

Wuppertal. Schauspieler sind Kummer gewohnt. Haben sie ein festes Engagement, dann wird im Akkord produziert, aber wenig verdient, weil städtische Theater fast überall in Deutschland notorisch pleite sind. Als freie Unternehmer sind sie zwar dem Akkordstress nicht ausgesetzt, leben aber immer mit dem Risiko, nicht gebucht zu werden, also nichts zu verdienen. So jedenfalls beschreibt Marco Wohlwend die Gegenwart des Bühnenkünstlers in Deutschland. Immer auf der Suche, immer in der Gefahr zu scheitern. Fast ist es so, als sei das Leben des Schauspielers identisch mit dem von Don Quijote.

Den spielt Wohlwend gerade unter der Regie von Robert Sturm in den Hallen von Riedel Communications. Und wie er ihn spielt, ist ihm zumindest in Wuppertal vermutlich noch nie Leben eingehaucht worden, diesem Träumer, Möchtegernhelden, dem Ritter von der traurigen Gestalt. Das ist umso bemerkenswerter, als Wohlwend ja nur die zweite Wahl für diese Rolle ist. Gedacht war sie für den Wuppertaler Schauspieler Christoph Maria Herbst.

Doch der hatte auf den letzten Drücker abgesagt, Gründe dafür sind nicht bekannt. Und spätestens nach dem ersten Satz Wohlwends vor ein paar Wochen hat niemand mehr Herbst auch nur eine Träne nachgeweint. Vielleicht wäre das Stück mit dem Fernsehkomödianten („Stromberg“) lustiger geworden, womöglich gar Klamauk. „Das kann ich nicht sagen“, erklärt Wohlwend. Schauspieler würden schnell in eine Schublade gesteckt. Möglich, dass es auch Herbst so ergehe. „Stück und Regie sind meinetwegen auf jeden Fall nicht geändert worden.“

Freilich wirkt Wohlwends Don Quojote gewollt ungewollt komisch, wenn er auf dem Pferdegestell herumturnt, wenn er Krieger mit Schafen verwechselt, eine Barbierschüssel für einen goldenen Helm hält. Aber Klamauk ist das nie. „Das Lachen ist dann mehr Stressabbau, glaube ich“, sagt Wohlwend. Don Quijote ist ja auch keine Komödie, es ist eine Tragödie, die auch Jahrhunderte, nachdem Cervantes sie schrieb, den Menschen noch einen Spiegel vorhält. Es ist die Geschichte des Scheiterns, des immer wieder Aufstehens, des stetigen Strebens nach einem Ideal, der Einsicht, dass eben doch nicht jedem alles möglich ist. Don Quijote erreicht sein Ziel nie. Also beschließt er, verrückt zu werden. Auch in dieser Szene gibt Wohlwend dem tragischen Helden Würde und Größe, nichts ist Klamauk, nichts ist Schenkelklopftheater. Es ist vielmehr ein Glück, diesen 47 Jahre jungen Mann in dieser Jahrhunderte alten Rolle zu sehen.

Wie das wohl mit Christoph Maria Herbst gewesen wäre? Es hätte seinen Reiz, diesen ausdrucksstarken Komödianten in einer so tiefen Rolle zu sehen. Er könnte das vermutlich, vielleicht ein bisschen leichter, vielleicht lustiger. Erfahren werden seine Wuppertaler Fans das aller Voraussicht nach nie. Doch jene, die seinen Ersatz als Don Quijote gesehen haben, erhoben sich bisher nach jeder Aufführung von ihren Plätzen, um Wohlwend und seinen durchweg großartigen Kollegen zu applaudieren. Auch deshalb ist es ihm egal, vermeintlich nur die zweite Wahl gewesen zu sein. „Das kommt oft vor im Schauspielerleben, manchmal auch die vierte oder fünfte Wahl. Das ist egal“, sagt Wohlwend und erinnert sich an Bühnengeschäftsführer Enno Schaarwächter: „Er hat mir gesagt, dass ich von vornherein im engsten Kreis für diese Rolle gewesen bin.“

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