Jüdische Kulturtage : Eine Lesung, die tief erschüttert
Grossmanns Buch „Aus der Zeit fallen“ bei Jüdischen Kulturtagen.
Wie sprechen, wenn die Sprache abhanden gekommen ist, wie Unfassbares in Worte fassen? Wenn Kinder sterben und Eltern sie überleben (müssen), gerät das Leben aus den Fugen. Um diese essentiellen Themen kreist das Buch „Aus der Zeit fallen“, das David Grossmann, einer der bedeutendsten Schriftsteller der israelischen Gegenwartsliteratur, verfasst hat. Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage war es Thema einer Lesung mit Ensemblemitgliedern des Schauspiels Wuppertal am Sonntagabend im Theater am Engelsgarten.
2013 veröffentlichte der 1954 in Jerusalem geborene Grossmann das nur 120 Seiten umfassende Werk. Der Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels und Friedensaktivist verarbeitete darin den Tod seines Sohnes Uri, der mit 20 Jahren gestorben war. Der Soldat war 2006 von einer Panzerabwehrrakete im Libanonkrieg zerfetzt worden. Ein Schicksal, das ein sehr persönliches Buch hervorgebracht hat, zugleich für viele Schicksale steht, weshalb der Autor die Reduzierung des Romans auf seine Person ablehnt. 2009 hatte er in seinem bekanntesten Werk „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ bereits eine Mutter auf eine Odyssee durch Israel geschickt, um der Nachricht vom Tod ihres Sohnes im Krieg durch dauernde Bewegung zu entkommen.
„Aus der Zeit fallen“ setzt das Thema und das Motiv fort. Nur dass diesmal der Vater die Bewegung als Überlebensstrategie wählt. Fünf Jahre, nachdem die zerstörende Nachricht in das Leben der Eltern kam und eine „Zeit des Schweigens“ anbrach, zieht er klagend um sein Haus, sein Dorf. Viele schließen sich ihm an - eine Frau, ein Schuster, ein greiser Rechenlehrer und andere. Sie stimmen in seine Klage ein, weil auch sie ein Kind verloren haben. Ein jeder mit seinen schmerzenden Gedanken, die er im Dialog mit sich selbst formuliert. Alle zusammen fügen sich zu einer Art Prozession, die Fragen stellt und Antworten sucht.