Gespräch mit Rainer Helfenbein „Philosophie ist eine Haltung“

Kempen · Den gesunden Menschenverstand einsetzen – das empfiehlt der frühere LvD-Leiter Helfenbein.

Rainer Helfenbein hat vor der Statue von Thomas a Kempis auf dem Kirchplatz Platz genommen.

Rainer Helfenbein hat vor der Statue von Thomas a Kempis auf dem Kirchplatz Platz genommen.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

„Philosophie ist eine Haltung“, sagt Rainer Helfenbein. Der ehemalige Leiter des Luise-von-Duesberg-Gymnasiums (LvD) hat nicht nur das Fach studiert und unterrichtet, sondern vermittelt sein Wissen auch seit etwa 15 Jahren über die VHS. Zuerst mit der Philosophie-Matinee zusammen mit Klaus-Peter Hufer und seit sechs Jahren vier Mal im Jahr mit der Philosophie-Werkstatt. Mit der WZ sprach der 72-Jährige über die Alltagstauglichkeit der Philosophie.

Die Frage nach dem
Sinn des Lebens

Die Haltung, so Helfenbein, bedeute offen sein, staunen und Fragen stellen, den Alltag nicht als gegeben hinnehmen. Die zu stellenden Fragen habe Emmanuel Kant (Kasten) aufgelistet: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen? 4. Was ist der Mensch? „Kinder fragen immer wieder ,warum?’. Das ist ein guter Ansatz.“ Martin Heidegger habe gesagt, „Alltag ist das Durchschnittliche“ und Ludwig Wittgenstein „der Alltag verstellt den Blick auf das Wesentliche“. Grau, so werde der Alltag oft bezeichnet, sagt der Pädagoge. Und: „Philosophie sind die Farbtupfer, die Löcher im Alltag, die durch Nachdenken entstehen.“

Nachdenken sei keine Frage des Intellekts, Sokrates sei Schuster gewesen. Bevor Philosophie an den Universitäten nur noch von Lehrern gelehrt worden sei, seien die Philosophen aus der Wissenschaft oder dem Handwerk gekommen. „Sokrates hat auf dem Marktplatz mit jungen Leuten gesprochen“, sagt Helfenbein. Nach dem Sinn des Lebens zu fragen, die täglichen Dinge zu hinterfragen und auch die Frage „Was kommt nach dem Tod?“, seien elementare Fragen, die sich eigentlich jeder irgendwann stelle.

Der Alltag sei mittlerweile auch von der Philosophie entdeckt worden, hat Helfenbein festgestellt. Das Einerlei des täglichen Lebens werde hinterfragt, nach Fluchten wie Urlaub geschaut. „Und auch die sogenannte Work-Life-Balance spielt heute eine große Rolle. Wo die Freizeitgestaltung wieder Mehrwert bekommt.“ Denn im Gegensatz zum alltäglichen Leben werde diese dem Menschen nicht von außen aufgedrückt. Aber auch dort könne man sich unter Druck setzen – auf der Suche nach immer Neuem. In den 1950er Jahren sei die Philosophie in Richtung gesundem Menschenverstand geschwenkt. Helfenbein: „Den hat doch eigentlich jeder und sollte ihn nutzen.“

Seinen Standpunkt
hinterfragen und Meinung sagen

Sir Karl Popper habe die These aufgestellt, dass der Mensch nicht alles weiß. Dass er von einer Lösung eines Problems zum nächsten geht und erst durch diese mehr erfährt. Die Aussage: „Es gibt keine absolute Wahrheit, alles muss widerlegbar sein“, stamme ebenfalls von Popper. Man müsse seinen Standpunkt hinterfragen und seine Meinung äußern, so Helfenbein. Hinterfragen von Standpunkten sei heute nicht mehr üblich. Er nennt Beispiele: „Ausländer sind Übeltäter“, „Wer Gerichtsurteile hinterfragt, ist gegen das Rechtssystem“, „Wer Kritik an Israel übt, der ist ein Rassist“. Helfenbein: „Wir leben in einer Befindlichkeits-Demokratie.“

Auf Kempens Mystiker Thomas a Kempis angesprochen, sagt Helfenbein, dass er sein Werk „Nachfolge Christi“ in Latein mit „Schwierigkeiten wegen der Sprache“ gelesen habe. Er zieht als Lektüre Arthur Schopenhauer vor. „Er betrachtet die Philosophie als Mittel, um das Leiden zu mindern.“ Und Popper. Wer sich über die Literatur der Philosophie nähern möchte, sollte mit „kleinen Texten“ anfangen, meint Helfenbein. Auf den fiktiven Büchertisch würde er legen: Thomas Nagel „Was bedeutet das alles“, das „Karl Popper Lesebuch“, von Karl Popper und John C. Eccles „Das Ich und sein Hirn“. Natürlich könne man auch David Precht lesen. Wer einen Klassiker lesen möchte, sollte mit Platons Dialogen anfangen.

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