Traumjob Lokführer? Traumjob Lokführer: Wenn die Zusi im Krefelder Fahrsimulator nervt

Krefeld · In der Lokfahrschule Meder wird am Simulator geübt, bevor es auf die Strecke geht. Der Testlauf für die WZ zeigt: Das ist aufreibender, als am Lenkrad eines Autos zu sitzen. Obwohl hier nicht mal Gefahr droht.

 Martin J. Meder erklärt Redakteurin Claudia Kook beim Fahrtest den Simulator.

Martin J. Meder erklärt Redakteurin Claudia Kook beim Fahrtest den Simulator.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

„Zusi, Zusi, Zusi“ – die weibliche Stimme ist penetrant, klingt wie eine gestrenge Lehrerin, aber das muss sie auch. Denn Zusi rettet Leben. Zusi steht für Zugsicherung. Sie gibt erst Ruhe, wenn der Fuß kurz vom Pedal genommen wird und die Metallplatte dann wieder durchgetreten wird. Wenn das nicht schnell genug geht, folgt die Zwangsbremsung. Denn dann ist der Lokführer eingeschlafen, ohnmächtig oder Schlimmeres. Bei meiner Testfahrt mit dem Simulator der Lokfahrschule ist nichts davon passiert. Es geht mir gut. Im Prinzip. Also gesundheitlich. Aber der Blutdruck ist gestiegen und die Nerven sind am Ende hochgradig angespannt.

9000 PS hat die Lok namens Taurus

Dabei hatte ich gedacht, schwerer als Autofahren könne es doch nicht sein. Schließlich steht die Lok namens Taurus mit ihren 9000 PS auf Schienen. Lenken fällt ja nun mal aus. Aber vor mir ist ein halbes Dutzend Steuerungen auf dem Tisch. Dazu kommen vier Displays: ein Monitor unter anderem mit der Geschwindigkeitsanzeige, dem Diagnosedisplay, auf dem zum Beispiel der Bremsdruck und andere Daten meines zu erkennen sind, und die Funkanlage, mit der Lokführer beispielsweise mit den Stellwerkern sprechen können.

„Landschaft wird geladen“ steht auf dem Monitor des Computers, mit dem die vom Lokfahrschul-Gründer, -Eigentümer und Lokfahrlehrer Martin J. Meder zusammengeschalteten fünf Rechner gesteuert werden. Und dann ploppt er auf: der Bahnhof von Venlo. Links das Empfangsgebäude in der Nähe des großen Kreisverkehrs am Limburgs Museum. Vor mir: Schienen, Schienen, Schienen. Denn ich werde einen Güterzug von Venlo auf den Weg nach Köln-Longerich bringen: über Kaldenkirchen, Nettetal-Breyell, Bosheim, Viersen, Anrath, Forsthaus und Krefeld Hauptbahnhof und dann Oppum, Osterath, Neuss Hauptbahnhof und Dormagen. Hoffentlich. Denn schon die zahlreichen Hebel, bei denen man die Knäufe mal drehen, mal erst herunterdrücken muss, sind respekteinflößend.

Jetzt muss erst einmal Kraft in die E-Lok, die es bei einer Testfahrt auf 357 Stundenkilometer geschafft hat und für 230 Stundenkilometer zugelassen ist. Also muss der „Zugkraftregler“ nach hinten gelegt werden. Ach, verflixt. Erst den Knauf runterdrücken. Für den V-Sollsteller, unter uns Laien „Tempomat“, den Knauf drehen und mit gaaaanz viel Gefühl auf 40 Stundenkilometer gehen. Denn nur so schnell darf ich den Venloer Bahnhof verlassen. Danach darf der 400 Meter lange Zug schneller werden. Es geht vorbei am Fußballplatz der Venlose Voetbal Vereniging. Abgelenkt. Schon wieder habe ich vergessen, meinen Fuß kurz zu heben. Schon wieder sind 30 Sekunden vorbei und ich muss meine volle Aufmerksamkeit nachweisen.

Und da haben wir noch nicht über den nächsten Magneten neben den Gleisen gesprochen. Genau im richtigen Moment muss ich mit einem Kippschalter bestätigen, dass ich zum Beispiel Tempo-Schilder gesehen habe. Etwa, als wir uns dem Kaldenkirchener Bahnhof nähern und wieder langsamer werden müssen, um mit 40 Stundenkilometern durchzufahren. Wachsamkeitsbestätigung nennt sich das unter Fachleuten. Dazu gehört eine Empfangsantenne zwischen den Lok-Achsen, die auf den Magneten im Gleisbett reagiert. Keine Reaktion des Lokführers heißt auch hier: Zwangsbremsung.

„Zusi, Zusi“, ach, verflixt. Ich habe zu lange auf das Bahnhofsgebäude gestarrt und an alte Zeiten der Disko BaCa gedacht. Ablenkungen gibt es viele: Ein schemenhaftes, aber trotzdem eindeutig zu erkennendes Schild eines Discounters an einem Gebäude zwischen sonst nur angedeuteten grauen und beigen Häusern, der Dülkener Wasserturm. „Man sieht viel von der Landschaft, es ist ein schöner Beruf“, sagt mein Trainer Meder. Aber er hat ja auch, wie die 200 Menschen, die er zu Lokführern ausgebildet hat, den Reflex im Fuß. „In der ersten Nacht träumen alle davon.“ Da wird von Ehepartnern auch schon mal mit dem Umzug aufs Sofa gedroht.

Bestimmt 30-mal muss mich „Zusi“ wecken, damit ich das Sifa-Pedal – für Sicherheitsfahrschaltung – in Bewegung halte. Mit drei Minuten Verspätung schaffe ich es nach mittlerweile einer Stunde simulierter Lokführerinnen-Tätigkeit in den Viersener Bahnhof und muss zum ersten Mal bremsen, weil ich noch zu schnell bin. Das dann wiederum nicht mit dem Fuß, sondern auch mit einem Hebel. Eine Stunde Fahrt steht noch bevor. Aber ohne mich. ich brauche eine Pause und bin froh, dass keine noch schwierigeren Situationen auf mich gewartet haben. Also Nachtfahrt oder Schnee. Denn die kann der Simulator auch.

Trotzdem will Meder, der seit 2006 Ausbilder und Prüfer ist und 2010 seine Lokfahrschule gründete, den Simulator im kommenden Sommer ersetzen und investiert rund 50 000 Euro. Ein IT-Experte arbeitet gerade an einem System mit Touchscreen und zum Beispiel gefährlichen Lagen wie Bäumen auf dem Gleis, kaputter Oberleitung oder Entgleisung. Da würde wohl nicht nur mein Fuß zucken, sondern auch noch mindestens ein nervöses Augenlid.

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