Wenn das Ballett „Gaga“ wird

Für den kraftvoll-virtuosen Tanzstil musste sich der Tänzer Yoav Bosidan an neue Methoden gewöhnen. Zu sehen bei der Premiere von „b.35“.

Wenn das Ballett „Gaga“ wird
Foto: Gert Weigelt

Er rudert in weichen, runden Bewegungen mit den Armen. Der Körper fließt, wenn er seine Beine fast auf 180 Grad spreizt und tief in den Knien hockt. Wenn Yoav Bosidan erklärt, was man unter der berühmten Gaga-Technik versteht, kann er nicht still sitzen. Gaga habe nichts mit umgangssprachlichen Wort für ‚verrückt’ zu tun. Er streckt die Hände aus. Oder fällt plötzlich auf den Boden. Direkt und ohne Schnörkel, ohne elegante Pose, wie man es aus klassischem Ballett kennt. Die Bewegungen kommen von innen. Das gehöre zur ‚Gaga’-Technik von Ohad Naharin, die weltweit in der zeitgenössischen Tanzszene mit seinem Namen in Verbindung steht.

Erstmals wird morgen am 27. April ein Stück dieses israelischen Choreographen in der Rheinoper zu erleben sein - im Rahmen von der Premiere des neuen Ballettabends „b.35“. Zur Information: Bisher trat Naharin nur im Tanzhaus NRW auf, wo seit Jahren auch Kurse seiner Gaga-Technik angeboten werden.

Bei b.35 stößt Naharin, Jahrgang 1952, auf jüngere Choreographen — auf Remus Sucheana und Ben J. Riepe.

Mit dem Opus „Decadance“, einer Collage von mehreren Tableaus, die Naharin für jede Kompanie neu zusammenstellt, wird der Ballettfreund damit einen zeitgenössischen Klassiker kennenlernen. Der in Tel Aviv ansässige Naharin hatte sie vor Jahren für seine „Batsheva Dance Company“ kreiert und bereits weltweit mit Ensembles einstudiert.

In Düsseldorf mit von der Partie: Yoav Bosidan, der bereits während seiner Ausbildung als klassischer Tänzer in Tel Aviv (Thallama-School) und Den Haag mit Naharins kraftvoller Bewegungssprache in Kontakt kam.

Der 26-jährige Athlet gerät ins Schwärmen: „Naharin ist Teil unserer Tanz-Kultur in Israel.“ Bosidan, der seit knapp zwei Jahren zum Ballett am Rhein gehört, ist begeistert von der Tanzsprache seines Landsmanns Naharin. „Extrem körperbetont, voller Leidenschaft und Explosivität“ — so erläutert er die Collage „Decadance“.

Sie wird einstudiert von Iyar Elezra, da Naharin permanent auf Achse ist und erst kurz vor der Premiere anreisen wird. An drei Tagen pro Woche werden Bosidan und seine Ballettkollegen in der Gaga-Technik unterrichtet. Im Ballettsaal.

Einzige Bedingung: Die Spiegel müssen mit Stoffbahnen verdeckt werden. Ein Schock war das zunächst für die neoklassischen Tänzer, weil sie mittels Spiegel ihre Linien kontrollieren. Diese Kontrolle aber, das Schauen von Außen auf den eigenen Körper — genau das ist in der Gaga-Technik untersagt. Die Tänzer, die an Martin Schläpfers Trainingsmethoden gewöhnt sind, fühlten sich ohne Spiegel verloren. Nach einigen Wochen wichen die Irritationen einer Begeisterung für Naharins kraftvoll virtuosen Tanzstil.

Wie Yoav nach Düsseldorf kam? Durch Zufall. 2015 gastierte das Ballett am Rhein mit dem Brahms-Requiem in Tel Aviv.

Yoav, überwiegend klassisch ausgebildet, war so begeistert, dass er danach an einem Training teilnahm und bei Schläpfer einen Vorstellungs-Termin bekam. Schwer und ein seelischer Kampf sei es gewesen, als ihm dann ein Vertrag angeboten wurde. „Ich musste meine Freunde und Familie in Tel Aviv verlassen. Einen Schnitt machen. Das war extrem hart für mich.“

Genauso hart litt er 2016, zu Beginn seines Engagements, unter der Einsamkeit. Mittlerweile hat er begonnen, Deutsch zu lernen und auch hier Freunde gefunden, denkt aber viel an seine Eltern in Tel Aviv. Sie seien auch Künstler. Und voller Stolz zeigt er Bilder auf seinem Smartphone. Abbildungen von fantasievollen Gemälden, abstrakten und figurativen. Auffallend und beeindruckend besonders die farbintensiven Porträtbilder seiner Mama und die geometrischen Studien seines Bruders. Wenn Yoav neben Training, Proben und Vorstellung mal Zeit hat, dann greift auch der Tänzer zu Farbe und Pinsel.

www.operamrhein.de

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