Spielsucht: Gefangen in der Spiel-Hölle

In Düsseldorf gibt es 2900 Abhängige. Einer sucht Hilfe im LVR-Klinikum.

Düsseldorf. Georg Müller (Name geändert) setzt den Unschuldsblick auf, blickt zu seiner Therapeutin und gesteht: "Ich habe am Samstag wieder gespielt." Er bekam eine Rückzahlung von den Stadtwerken und hatte damit, wie er sagt, "wieder Munition". Dann habe ihn der Automat einfach zu sehr angelächelt.

Müller ist spielsüchtig, seit 32 Jahren. Mit 17 fing es in seiner Stammkneipe an. Erst wollte er den Automaten nur mal ausprobieren, weil er gesehen hatte, wie andere gewannen. "Mittlerweile dürfte ich so zwischen 50 000 und 100 000 Euro verspielt haben", sagt der 49-Jährige.

Psychologin Andrea Baden behandelt Müller in der Sucht-Ambulanz im LVR-Klinikum in Gerresheim. Das Rückfall-Geständnis schockt sie nicht. "Wir verurteilen das Geschehene nicht, sondern helfen, dass so ein Rückfall beim nächsten Mal nicht passiert", sagt die auf Spielsucht spezialisierte Therapeutin. Schließlich schämten sich die Patienten schon selbst genug.

Die Spielsucht ist eine verkannte Erkrankung. "Sie tritt, bedingt durch die Umgebung in der gespielt wird, meist in Verbindung mit anderen Süchten wie Alkoholismus auf", sagt Petra Franke, Leiterin der LVR-Suchtambulanz. Auch Georg Müller hatte zunächst Hilfe gesucht, weil er Alkoholiker ist. Erst im vergangenen Jahr, als er Privatinsolvenz anmelden musste, fasste er sich ein Herz und gestand sich und den Ärzten seine Spielsucht ein.

Die Automaten waren für ihn immer eine Möglichkeit abzuschalten. "Wenn ich spiele, gibt es nur den Automaten und mich. Alles andere ist dann egal", sagt Müller. Therapeutin Baden fügt hinzu: "Die meisten fangen aus Langeweile, Unzufriedenheit oder wegen sozialer Isolation das Spielen an." Vor dem Automaten habe der Spieler das Gefühl, nicht allein zu sein. Er kann seine Sorgen vergessen, ohne mit jemandem sprechen zu müssen.

Eine typische Spielsucht-Karriere gibt es nicht. Aber oft sind es Rückschläge, die einen Menschen anfällig für Suchtverhalten machen. Müller verlor früh seinen Vater, war zeitlebens von der Mutter abhängig, die ihm finanziell immer wieder aus der Patsche half. 20 Jahre lang arbeitete er als Kellner. Heute lebt er von Hartz IV. Zweimal hat er versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, als er durch Alkohol und Spielsucht "ganz unten" war. Eine Beziehung oder Freunde hatte er nie. "In dem Milieu findet man keine Freunde", sagt er.

Seit Jahren ist die Beratungsnachfrage bei Spielsüchtigen steigend. "Auch Computer- und Online-Spiele kommen immer mehr", sagt Franke. Müller ist dagegen ein klassischer Automatenspieler - die größte von der Sucht betroffenen Gruppe. Dabei reicht ihm der blinkende Automat in der Kneipe. "In Casinos oder Spielhallen gehe ich nicht. Das ist zu viel für mich." Lotto und Toto spielt er ab und zu, aber "da sehe ich keine Suchtgefahr für mich". Denn er müsste ja auf die Ziehung oder ein Spielergebnis warten. Süchtige wie Müller suchen eher das schnelle Glück.

Den Fall des staatlichen Glückspiel-Monopols sieht Ärztin Petra Franke als Chance: "Ein geöffneter Markt kann offensiver überwacht werden. Es würde vielleicht weniger Geld in dunklen Kanälen unseriöser Glücksspiel-Anbieter verschwinden." Dafür könne, so Franke, mehr Geld für Hilfsangebote ausgegeben werden. "Das ist ja eigentlich der Zweck des staatlichen Monopols. Doch das Gegenteil war der Fall."

Müller fühlt sich in seiner Sucht gefangen. Wieder frei zu sein, ist sein größter Wunsch. Beim Alkohol kann er jetzt Nein sagen, weil er den körperlichen Niedergang durch das Trinken erfahren hat und vor ihm zurückschreckt. "Aber die Automaten, die machen mich nervös."

Andrea Baden, die ihn auf dem Weg in die Glücksspiel-Freiheit begleiten will, sagt: "Das wird immer seine Achillesferse sein." Besonders wenn Georg Müller wieder "Munition" in der Tasche hat. Die Psychologin weiß: "Es ist wie bei trockenen Alkoholikern: Ganz geheilt ist man nie."

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