U-76-Jubiläum Ein „Liebesbrief“ an den Speisewagen der U76 zwischen Düsseldorf und Krefeld

Düsseldorf · Die Zeiten der Speisewagen der U76 sind vorbei. Wir lassen sie in einer Kolumne kurz aufleben.

Ein Mitarbeiter füllt die Getränke für den Speisewagen nach. Die Aufnahme ist von 1930, der Wagen wurde 1924 gebaut.

Ein Mitarbeiter füllt die Getränke für den Speisewagen nach. Die Aufnahme ist von 1930, der Wagen wurde 1924 gebaut.

Foto: Rheinbahn Archiv

Deine Kinder und Enkel sind inzwischen auch schon in Rente. Seit 2014 fahren sie nicht mehr hin und her zwischen Krefeld und Düsseldorf. 2016 schließlich kam der Rentenbescheid und ihr Schicksal war besiegelt. Ja, Deine Nachkommen sind mit der Zeit gegangen. In zweifachem Sinne. Denn die Welt hatte sich, seitdem Du auf die Welt gekommen warst schon sehr verändert.

1924 bist Du geboren und warst immer schon etwas ganz Besonderes. Ein Speisewagen in einer Straßenbahn? Kann es so etwas überhaupt geben? Deine großen Brüder und Schwestern fuhren durch die ganze Welt, waren Inbegriff kultivierten Reisens, hatten oft sogar etwas von einem noblen Restaurant. In ihnen wurde gespeist, getrunken, früher ausgiebig geraucht. So manche Bekanntschaft wurde in ihnen geschlossen, manches Gespräch keimte auf. Doch auch sie drohen ihren Job zu verlieren, gibt es auch den ein oder anderen Hoffnungsschimmer am Horizont. Doch Du warst immer schon etwas anders. Zu der Zeit, als Du Deinen Dienst antratest, tickten die Uhren noch viel langsamer als heute. Eine Fahrt von Düsseldorf nach Krefeld wahr eine wirkliche Reise. Und Du warst so modern. Trugst den Charme eines kleinen Kaffeehauses in Deinem Innern. Botest in feinstem Zwirn gekleideten Herrschaften so manche Leckerei für die niederrheinische Fahrt. Immerhin halfen Dir Menschen aus dem berühmten Hotel Breidenbacher Hof dabei, Deine Aufgabe zu erfüllen. Mit überschlagenen Beinen, mit druckfrischer Zeitung, dessen Geruch sich leider mehr und mehr aus unserem Alltag verflüchtigt, saßen die unterschiedlichsten Menschen in Dir. Tranken auch mal einen Wein, wie auf alten Bildern aus Deiner Glanzzeit zu sehen ist.

Doch Dein Leben war nicht einfach, es kam der Krieg und Du musstest ruhen, warten und hoffen. Die Welt um Dich herum hatte sein Antlitz gänzlich gewandelt. Du musstest neue Kleider anziehen, eben mit der Zeit gehen, nach und nach, als Du 1949 wieder Deinen Dienst antreten durftest. In den 60ern passtest Du Dich ganz an die Mode an, wurdest minimalistischer; schnittig und zweckmäßig solltest Du sein. Deine Kinder übernahmen diese Aufgabe für Dich. Doch auch das half nur wenig, denn die Menschen um Dich herum hatten ihre Gewohnheiten geändert. Eine Reise zwischen Düsseldorf und Krefeld war keine wirkliche Reise mehr, es wurde etwas vollends Alltägliches. Vielleicht wollten weniger Menschen die kurze Zeit bei Dir verbringen, an Deinen Tischen sitzen oder Du warst einfach zu teuer für Deine Vorgesetzten. 1963 war es dann soweit und man entließ Dich, beziehungsweise Deine Kinder; es hieß, sie seien nicht rentabel. Was Du in der Zwischenzeit gemacht hast, nun, das weiß ich nicht, aber als 1989 wieder die Idee aufkam mit der U76 – so hieß Deine Stadtbahn ab 1988 – eine Art Speisewagen fahren zu lassen, kam diese Aufgabe wieder einer neue Generation zu. Den Namen Speisewagen legte sie ab, hieß nun „Bistroabteil“. Doch mit dem neuen Namen änderte sich auch die Anmutung, das Flair. Konnte man zwar auch noch kleine Speisen und Getränke bestellen, wirkten Deine Enkel viel zu nüchtern. Die Magie eines Speisewagens konnten Sie nicht mehr heraufbeschwören. Deine Zeiten sind nun endgültig vorbei. Du warst halt etwas ganz Besonderes. Vielleicht zu besonders?

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