Geschichte Vom Erinnern und Vergessenwerden

Köln · „Nach dem Einsturz des Historischen Archivs 2009 an der Severinstraße war die Rede davon, dass Köln sein Gedächtnis verloren habe. Wir haben das für falsch gehalten und uns viele Gedanken zum Thema gemacht.

 Bettina Schmidt-Czaia und Kurator Max Plassmann an der Station, die sich mit dem Archiveinsturz beschäftigt.

Bettina Schmidt-Czaia und Kurator Max Plassmann an der Station, die sich mit dem Archiveinsturz beschäftigt.

Foto: step/Eppinger

Das hat uns auch zu der Ausstellung ‚Vergiss es! Nicht. Vom Erinnern und Vergessenwerden‘ bewogen – die erste Ausstellung im neuen Gebäude am Eifelwall, bei der wir mit der Kölner Universität kooperiert haben“, sagt die Direktorin des Archivs am Eifelwall, Bettina Schmidt-Czaia. Für das Archiv und seine Mitarbeiter ist die erste Sonderausstellung im neuen Haus ein Kraftakt, denn im Moment läuft der Umzug auf Hochtouren, wie die großen Lkw am Eifelwall zeigen. „Wir wollten aber trotzdem den Menschen ein kulturelles Programm bieten und das Haus offen halten. Der Umzug soll im November abgeschlossen sein“, berichtet Schmidt-Czaia.

Kölns Gedächtnis hat Schrammen, ist aber nicht verloren

Viele der gezeigten 100 Exponate wurden im Trümmerhaufen des eingestürzten Archivs geborgen und wieder restauriert. Ein Drittel sind Neuerwerbungen nach dem Einsturz, was die Lebendigkeit eines Stadtarchivs unter Beweis stellen soll. Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem kulturhistorischen Gedächtnis Köln – blickt aber auch auf das menschliche Erinnern und Vergessen bei der eigenen Lebensgeschichte.

Gezeigt werden die historischen Grundlagen von Kultur, Lebensart und Selbstverständnis der an Geschichte so reichen Stadt. Dort kümmerte man sich schon früh um die eigene Vergangenheit, wie Museen, Archive und der Denkmalschutz im 19. Jahrhundert zeigen. Fragestellungen der Schau sind: Was ist eigentlich das kulturelle Gedächtnis? Was sind die Medien und Rituale des gesellschaftlichen Erinnerns? Wie wird Geschichte verbogen und manipuliert, aber auch dazu genutzt, die Zukunft zu gestalten?

Eröffnet wird der Rundgang durch die Ausstellung mit den Medien der Erinnerung. Dazu zählen zum Beispiel Prachthandschriften aus dem Mittelalter, aber auch wichtige Urkunden. Beispiele dafür sind Bibeln wie das Evangeliar von St. Gereon, die als Geschichtsbücher dienen. „Der Große Schied“ von 1258 ist Teil der jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und den Erzbischöfen. In der Urkunde geht es um das Münzrecht und Gerichtshoheit. Eine andere Urkunde um das Mauerprivileg legitimiert 1180 nachträglich eine auf erzbischöflichen Gebiet errichtete Stadtmauer. Die Schreinskarte aus dem Bezirk St. Martin war im 12. Jahrhundert ein Vorläufer des Grundbuches. Gezeigt werden aber auch private Objekte wie ein Fotoalbum oder ein Rechnungsbuch.

Zu den zentralen Dokumenten der Kölner Stadtgeschichte zählt der Verbundbrief aus dem Jahr 1396. Damals gab sich Köln eine neue Stadtverfassung, die bis zur Franzosenzeit ab 1794 Bestand hatte. Gesiegelt wurde dieser von der Stadt und den 22 Gaffeln, die fortan für die Wahl des Stadtrates verantwortlich waren. Das ausgestellte Exemplar wurde in der Nazizeit Adolf Hitler geschenkt, um mit der in der deutschen Sprache verfassten Urkunde das Germanentum Kölns unter Beweis zu stellen. Nicht wirklich historisch, aber dem Verbundbrief nachempfunden ist die Kölsch-Konvention aus den 80er Jahren, die zeigt, wie Geschichte für Werbezwecke genutzt wurde.

Beispiele für Manipulationen in der Geschichte zeigen sich zum Beispiel bei den Dokumenten der „Kriegerdenkmäler“. Hier müssen unabhängig von Sieg oder Niederlagen die Verluste und das Leid verarbeitet werden. Oft wurde so erbrachte Opfer politisch aufgeladen und dafür genutzt, um Politik für die Gegenwart zu machen. Gezeigt wird unter anderem ein nicht realisierte Entwurf für ein Kriegerdenkmal der jüdischen Synagogengemeinde oder ein Pokal von Veteranen von 1813 aus dem Jahr 1873.

In der Ausstellung wird auch vorgestellt, wie verlorene Kunstwerke in Archivdokumenten erhalten bleiben. Ein Exponat ist hier ein Modell über ein verloren gegangenes Kunstwerk von Brigitte Burgmer, die eine Wandnische künstlerisch gestaltet hatte – diese verschwand bei der Kernsanierung des Gebäudes. Das gilt auch für das monumentale Gemälde „Rheinschiffer“ im Duisburger Hauptbahnhof von Otto H. Gerster. Heute ist an der Stelle nur noch eine Bierreklame zu sehen. Die einzige Überlieferung der ältesten Düsseldorfer Inschrift ist ein Dokument, das zum Bestand des Kölner Stadtarchivs gehört.

Als nach dem Einsturz Archivalien aus dem Trümmerfeld geborgen wurden, fand man dort auch einen ramponierten Helden – eine Statue des griechischen Jason, der sein Bein und eine Hand eingebüßt hatte. Zuordnen kann man die Figur bis heute nicht. Ein Thema ist zudem die Restaurierung von Archivgut, die leider nicht immer gelingt. Das gilt für die mittelalterliche Urkunde, die im 19. Jahrhundert rabiat mit Säure behandelt wurde, um ihre Schrift besser lesbar zu machen.

Ein Beispiel für einen Fund in den Trümmern, der für immer verloren ist, stellt ein Foto dar, von dem nur noch das bloße Papier übriggeblieben ist. Direkt daneben findet sich eine wertvolle und gut erhaltene Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, die nach dem Einsturz in den Bestand des Archivs gelangte. Sie blickt in die Zukunft des stetig wachsenden Stadtarchivs, dessen Gedächtnis zwar Schrammen abbekommen hat, das aber keineswegs verlorengegangen ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort