Was glauben Sie denn? Aufbruch bei der Stadtmission

Aufbruch? „In Barmen wohnen die Armen und in Elberfeld ham se auch keen Geld“ - das habe ich noch im Hinterkopf als ich nach Wuppertal kam. Und in der Tat: Es gab den Kirchenkreis Barmen mit den Armen und den Kirchenkreis Elberfeld - ohne Geld.

 von Pfarrer Johannes Schimanowski

von Pfarrer Johannes Schimanowski

Foto: ja/Kirchenkreis Wtal

Jedenfalls wurde das immer behauptet. 100 Jahre lang - bis wir 2005 zu einem Kirchenkreis Wuppertal wurden. Überfällig nach 100 Jahren. Wir im Osten mit dem Klingholzberg wussten eigentlich mehr von Schwelm und Westfalen als von unseren Brüdern und Schwestern im Westen, in Elberfeld mit ihrem Elberfelder Modell (ein Vorzeigeprojekt für das diakonische Handeln der Kirche Ende des 19. Jahrhunderts).

Ein Jubiläum ganz anderer Art feiert in diesem Jahr die Wuppertaler Stadtmission (WSM), die sich seit 1920 dem Dienst an den Armen in der Stadt verschreibt und seit 1930 ihr Zuhause in der Nachbarschaft der früheren Notunterkunftssiedlung Klingholzberg hat. Fräulein Frowein, Missionar Schmidt und Frau Kottsieper waren für die Armen unermüdlich im Einsatz: „Wer in das Evangelium von Jesus eintaucht, taucht bei den Armen wieder auf.“

Die Wuppertaler Stadtmission ist ein freies Werk innerhalb der Evangelischen Kirche und Mitglied des Diakonischen Werkes im Rheinland. „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn“ - ist unser Leitmotiv, das wir aus der Bibel ableiten. Im Sinne Jesu glauben wir: das Beste der Stadt sind die Menschen. Unsere ganze Aufmerksamkeit widmen wir ihrem Wohlergehen. Besonders den Schwachen und Benachteiligten stehen wir zur Seite. Wir sind der Überzeugung, dass das Beste, was einem Menschen passieren kann, die Liebe Gottes ist. Gott liebt jeden Menschen in seiner unverwechselbaren Einmaligkeit. (Zurzeit aktueller denn je bei der Debatte über Rassismus weltweit…) Dies prägt unser Handeln, davon erzählen unsere Worte, diesen Glauben leben und feiern wir miteinander in unseren geistlichen und karitativ - diakonischen Angeboten. Dies wollte die WSM das ganze Jahr über zum Ausdruck bringen; Mitte März sollte der Festgottesdienst zum 100jährigen Bestehen das Jubiläumsjahr einläuten. Aber dann kam Corona…

Und jetzt? - Jetzt haben wir beschlossen, umzuziehen und aufzubrechen. In die Barmer Innenstadt. Eine Ladenkirche wollen wir aufbauen. Wir wollen dorthin, wo die Armen angeblich wohnen, zumindest verweilen. Trotz Rathaus, Oper, Musikhochschule und Kulturkirche Immanuel. Alles wunderbare Zeugnisse langjähriger Stadtkultur, die sich aber sehr gewandelt hat. Den Klingholzberg am Rand der Stadt gibt es schon lange nicht mehr (1973). Die Notunterkünfte der Hilgershöhe wurden 2004 abgerissen. Die Armut ist in die Talachse gewandert - wie die statistischen Erhebungen der Stadt Wuppertal zeigen. Also ziehen wir um. Also brechen wir auf. Wenn es den Armen gut ginge, ginge es uns doch auch gut, oder? Zurzeit leiden sie, die wir arm einschätzen, am meisten unter den Folgen des ‚Lockdown‘. Oft verschwindet die Armut hinter den Gardinen. Das sehen nur die, die Besuche machen, die Kontakt haben, und ihnen - wenn auch zurzeit auf Abstand - Angebote machen und praktisch weiterhelfen können. Durch den Glauben an Jesus von Nazareth sind wir nicht auf einmal reich. Aber wir dürfen bei aller Bescheidenheit reichhaltig das Leben feiern. Geschichten erzählen. Mut machen. Helfen statt hamstern. 100 Jahre bedenken. In Barmen wohnen die Armen und in Elberfeld ham se auch keen Geld. Ja und? Suchet der Stadt Bestes und betet für sie - heißt es. Wenn es den Armen gut geht, geht es der Stadt und der Kirche gut. Kirche findet Stadt… Und dadurch findet auch der eine oder andere aus der Stadt auf einmal die Kirche.

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