Analyse Triage – das Dilemma der Ärzte im äußersten Notfall

Düsseldorf · Wenn zu viele Patienten um Leben und Tod kämpfen, muss es Prioritäten geben. Doch die Kriterien sind umstritten.

 Patienten mit Mundschutzmasken liegen in Krankenbetten. In Bergamo wurde eine Triage für Coronavirus-Notfälle eingerichtet.

Patienten mit Mundschutzmasken liegen in Krankenbetten. In Bergamo wurde eine Triage für Coronavirus-Notfälle eingerichtet.

Foto: dpa/Claudio Furlan

Seit die teils katastophale Lage in manchen durch die Corona-Epidemie völlig überlasteten Krankenhäusern in Italien bekannt geworden ist, macht ein angstbesetztes Wort die Runde: Triage. Dahinter verbirgt sich ein Verfahren, das bei objektiv unzureichenden medizinischen Ressourcen eine Behandlungspriorität bestimmt. Dass sich daran immer wieder ethische Grundsatzdebatten entzündet haben und noch entzünden, liegt auf der Hand.

Die Triage (vom französischen trier für auswählen, aussuchen) hat ihre mehr als 200 Jahre zurückreichenden Wurzeln im Krieg. Dort ging es darum, der zahlreichen verletzten Soldaten Herr zu werden. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte die Übertragung auf den zivilen Bereich. „Seit den Ereignissen vom 11. September 2001 ist es insbesondere der Terroranschlag, der den sogenannten Massenanfall von Verletzten zu verursachen droht“, schreibt der Freiburger Soziologe Nils Ellebrecht in einem Aufsatz über „Charakteristika und Gegenwart eines ordnungsstiftenden Verfahrens“.

Weltweit einheitliche Systeme oder Richtlinien gibt es dabei nicht. In britischen und deutschen Notfallaufnahmen gilt das Manchester Triage System (MTS) als Standard, das eine Behandlungsreihenfolge anhand von Farben festlegt: von Rot (absolute Lebensgefahr) über Orange (Arztkontakt sollte sehr dringend erfolgen), Gelb und Grün bis zu Blau (Arztkontakt ist nicht dringend). Was das MTS allerdings nicht vorsieht, ist die Situation, die sich derzeit in Italien stellt: Ärzte müssen entscheiden, wem sie Beatmungsgeräte zur Verfügung stellen, und damit auch den Tod anderer Patienten in Kauf nehmen. Gerüchte, dass gewisse Patienten gar nicht mehr behandelt würden, haben italienische Intensivmediziner aber zurückgewiesen.

Ethische Empfehlungen für italienische Ärzte

Um die Ärzte bei ihren Entscheidungen zu entlasten, hat die italienische Gesellschaft für Anästhesie, Analgesie, Reanimations- und Intensivmedizin (SIAARTI) inzwischen ein Dokument mit „Empfehlungen zur klinischen Ethik und für die Zulassung zur Intensivbehandlung beziehungsweise ihre Aussetzung“ herausgegeben. Demnach müssten „die Patienten mit den höchsten Chancen auf therapeutischen Erfolg Zugang zur Intensivmedizin erhalten“.

Zu den Empfehlungen zählt eine Bewertung von Alter und Begleiterkrankungen. Sogar eine Altersgrenze für den Zugang zur Intensivpflege könnte notwendig sein, heißt es in dem Papier, um die größte Anzahl „von geretteten Lebensjahren“ zu sichern im Blick auf eine Maximierung des Nutzens. Gerade dieser Passus hat innerhalb wie außerhalb Italiens auch schon Widerspruch hervorgerufen.

So schreibt Weyma Lübbe, Regensburger Professorin für praktische Philosophie, auf verfassungsblog.de, das Kriterium „geretteter Lebensjahre“ sei nicht Teil des traditionellen Triage-Prozederes. Im Extremfall müssten dann sogar sehr alte Menschen in der dringlichsten Behandlungsgruppe zugunsten sehr junger Menschen in der zweitdringlichsten Behandlungsgruppe zurückgestellt werden. Für die öffentliche Hand könne aber ein längeres Leben nicht wertvoller sein als ein kürzeres.

Auch in Deutschland wird bereits die Forderung nach einer speziellen Handreichung für Ärzte laut. In der Berliner „Tageszeitung“ forderte die Münchener Medizinethikerin Alena Buyx, Mitglied des Deutschen Ethikrats, die Gründung einer Adhoc-Kommission mit Notfall-, Katastrophen- und Intensivmedizinern, Pandemieexperten, Ethikern, Juristen und Krankenhausmanagern. Abstrakte Altersgrenzen wie in Italien hält sie „für problematisch“.

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