Angela Merkel im Interview: "Keine Bank ohne Aufsicht"

Berlin. Sie will nicht streiten, jammert die SPD. Sie soll keinen Wahlkampf im Schlafwagen machen, fordern viele in der eigenen Partei. Es ist die Sehnsucht nach Wahlkampf nach alter Sitte: Als Holzerei.

"Das passt nicht in die Zeit", antwortet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), "dafür ist die Finanzkrise zu ernst." Die Menschen erwarteten von ihr nicht, "dass ich jeden Tag über andere schlecht rede", erzählte sie beim WZ-Gespräch in ihrem Büro im Kanzleramt.

WZ: Frau Merkel, Sie führen - aus Sicherheitsgründen - eine abgeschottete Existenz...

Merkel: ...kann man von den äußeren Umständen so sagen. Ich kann nicht einfach allein mit der U-Bahn fahren, aber ansonsten fühle ich mich mittendrin und nicht abgeschottet.

WZ: Wann führen Sie mal ein normales Gespräch mit ganz normalen Leuten?

Merkel: Ein unbefangenes Gespräch geht mit Menschen, die mich lange kennen. Mein Bekanntenkreis ist dafür groß genug. Auch im Wahlkreis sagen die Menschen mir schon, wo der Schuh drückt. Dazu kommt viel Post.

WZ: Die Sie kaum selbst beantworten, oder?

Merkel: Sehr selten. Es geht nicht. Ich bekomme allein 2.000 bis 4.000 Emails im Monat. Aber ich bekomme viele Briefe zu lesen.

WZ: Sind Sie noch geerdet?

Merkel. Ja.

WZ: ...das ist schon mal was.

Merkel: Ich versuche, vieles immer noch selbst zu machen. Von Helmut Kohl habe ich gelernt, dass man sein Portemonnaie und den Terminplan immer dabei haben sollte und nicht einfach anderen alles überlassen. Ich gehe regelmäßig einkaufen, koche, mache, wenn ich kann, Frühstück. Ich bin, glaube ich, überlebensfähig.

WZ: Haben Sie sich verändert?

Merkel: In vier Jahren entwickelt sich jeder Mensch weiter. Ich handle in schwierigen Situationen sicherer als noch vor einigen Jahren. Aber: Man muss sich zum Beispiel auf jeden öffentlichen Auftritt voll konzentrieren, darf nie denken, dass alles einfach so geht.

Ich gehe jeden Tag gern ins Büro, ich kann mich über viele Dinge freuen, über interessante Gespräche, über Blumen, den Blick auf den Tiergarten.

WZ: Sind Sie eine Arbeiterin?

Merkel: Kann man so sagen. Das hat sicher mit meinem Wesen und mit meiner Ausbildung als Physikerin zu tun. Ich kann sehr schlecht über Dinge sprechen, die ich nicht wirklich verstanden habe.

WZ: Haben Sie die Bankenkrise verstanden?

Merkel: Es geht darum, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen - die Mechanismen, die zu ihr geführt haben, sind inzwischen gut aufgearbeitet. Im übrigen habe ich ja schon während der deutschen G-8-Präsidentschaft vor zwei Jahren das Thema der hochriskanten und intransparenten Hedge-Fonds auf die Tagesordnung gesetzt.

Leider war vor der Krise der internationale Konsens über die Dringlichkeit des Handelns noch nicht da. Allerdings ist es auch nicht immer einfach, zum Beispiel bei den Boni, angemessene Regelungen zu finden, die nicht umgangen werden können.

WZ: Die Gierigen sind immer schneller?

Merkel: Manchmal erfindungsreicher. Umso wichtiger, dass jetzt die richtigen Lehren aus der weltweiten Krise gezogen werden.

WZ: Die Leute auf der Straße werden Ihnen sagen, "mach, dass sich so etwas wie die Bankenkrise nicht noch einmal ereignet. Wenn Sie frei wären, was würden Sie gern noch lösen?

Merkel: Zunächst einmal muss man festhalten, dass der G20-Prozess bereits viele konkrete Ergebnisse erreicht hat und auch auf nationaler Ebene haben wir beispielsweise die Möglichkeiten der Aufsicht verbessert und ein Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung beschlossen.

Unsere Beratergruppe um Herrn Professor Issing, den ehemaligen Chef-Ökonom der EZB, empfiehlt darüber hinaus eine Risiko-Weltkarte des Finanzsystems.

Der G20-Gipfel in Pittsburgh Ende September wird konkrete weitere Schritte bringen. Ich habe zusammen mit Nicolas Sarkozy und Gordon Brown gemeinsame Forderungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens formuliert, für die wir kämpfen werden.

WZ: Worauf kommt es an?

Merkel: Auf die weitere Umsetzung der Beschlüsse des G20-Gipfels von London: kein Land, kein Akteur und kein Finanzprodukt ohne Aufsicht. Dann sollen Banken Staaten nicht länger wegen ihrer hohen systemischen Bedeutung zur Hilfe pressen können.

Daher sollten wir darüber nachdenken, dass Banken mit einem hohen systemischen Risiko mehr Eigenkapital vorhalten müssen. Zudem müssen wir an einer Insolvenzordnung für solche Banken arbeiten. Der zweite Punkt sind die Boni der Manager.

Die Vergütungssysteme dürfen nicht dazu führen, dass die Verantwortlichen zu hohe Risiken eingehen. Der französische Präsident und ich haben gerade eine Initiative gestartet, um Boni zu begrenzen. Auch in diesem Punkt unterstützt uns nun die britische Regierung.

WZ: Bei den Fragen haben Sie mit der SPD harmoniert. Ist es nicht der Wunsch der Leute, dass Union und SPD weiter machen, angeführt von einer präsidialen Kanzlerin?

Merkel: Die Menschen fragen sich, welche Regierung Deutschland am besten aus der Krise führen kann. Ich werbe für eine Koalition einer möglichst starken Union mit der FDP. Wir haben die größten inhaltlichen Übereinstimmungen für wirtschaftliches Wachstum. Große Koalitionen sind eine Ausnahme in der Demokratie, nicht mehr und nicht weniger.

WZ: Wären weitere vier Jahre große Koalition einfach nur eine Fortsetzung?

Merkel: Die jetzige Koalition hat alles in allem gute Arbeit geleistet. Jetzt gilt: Deutschland braucht in Zeiten der Krise klare Verhältnisse und eine stabile Regierung, auf die man sich verlassen kann. Das würde mit der SPD so nicht mehr möglich sein, weil sie ständig unter dem Druck der Linken stünde.

WZ: Wenn die SPD sich alles offen hält, müsste da nicht auch die Union Neues wagen?

Merkel: Wir haben mit der SPD regiert, weil das ein Ergebnis der Bundestagswahl 2005 war. Und wir haben den Wählerauftrag verantwortungsvoll umgesetzt. Ich werbe jetzt für eine Koalition mit der FDP.

WZ: Und Schwarz Grün?

Merkel: Auf Bundesebene sehe ich keine Chance für eine Koalition mit den Grünen. Dafür liegen wir in zu vielen Punkten weit auseinander.

WZ: Für den Bund wäre ein "Jamaika"-Bündnis mit FDP und Grünen nicht gut genug, für das kleine Saarland schon?

Merkel: Ein Dreier-Bündnis kann auf Landesebene aus einer Ausnahmesituation wie im Saarland erwachsen. Für den Bund kann ich mir eine solche Koalition angesichts der vielen drängenden Probleme nicht vorstellen.

WZ: Der thüringische Ministerpräsident Althaus ist zurückgetreten. Ist der Weg für eine große Koalition frei?

Merkel: Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Dieter Althaus. Mich verbindet mit Dieter Althaus eine langjährige politische und auch persönliche Freundschaft. Er hat unendlich viel für Thüringen getan und immer die Menschen im Blick gehabt.

Er hat sein Land als erfolgreicher Ministerpräsident in vielen entscheidenden Themen nach vorne gebracht. Ich habe seinen Rat im Präsidium der CDU jederzeit geschätzt.

Für die anstehenden Gespräche zwischen der SPD und der CDU in Thüringen hat die SPD nach seinem Schritt keine Ausrede mehr, einer ernsthaften Befassung mit einer großen Koalition in Erfurt weiter auszuweichen.

WZ: Was würden Sie in den ersten 100-Tagen einer Regierung mit der FDP anpacken?

Merkel: Wir haben als CDU und CSU ein konkretes Regierungsprogramm beschlossen. Ich führe jetzt keine Koalitionsverhandlungen vor einer Wahl, aber klar ist, wir müssen wirtschaftliches Wachstum fördern.

Wachstum schafft Arbeit. Es ist wichtig, die kalte Progression bei der Einkommenssteuer für Millionen Arbeitnehmer zu verringern. Das wäre ein Signal für die Leistungsträger, die den Karren aus der Krise ziehen.

Dann würde ich einen neuen Anlauf nehmen für eine bessere steuerliche Förderung von Forschungsleistungen und die Wirkung der Unternehmenssteuer und Erbschaftssteuer beim Betriebsübergang in der Krise auf den Prüfstand stellen. Den Bürokratieabbau müssen wir vorantreiben. Und ich möchte das Ehrenamt besser anerkennen.

WZ: Opel taucht in Ihrer Auflistung nicht auf.

Merkel: Opel bleibt als wichtiges Thema auf der Tagesordnung, bis es geklärt ist.

WZ: Nehmen Sie den Amerikanern ab, dass sie Opel weiter verkaufen wollen?

Merkel: GM hat unterschriftsreife Verträge mit zwei Investoren, Magna und RHJ, ausgehandelt. Als Eigentümer hat GM zu entscheiden, ob und an wen sie verkaufen.

Wir haben nach sorgfältiger Prüfung erklärt, dass wir einen Verkauf an Magna durch staatliche Garantien begleiten, weil das unternehmerische Konzept aus unserer Sicht die tragfähigste und nachhaltigste Lösung für Opel darstellt. Die neue Führung von GM klärt derzeit ihre Optionen zum weiteren Vorgehen.

WZ: Was ist denn das Problem? Dass russische Firmen an Opel beteiligt wären?

Merkel: Nein, das ist nicht das tragende Thema. Die Frage von Technologietransfer lässt sich vertraglich umfassend regeln. Opel ist ein leistungsfähiger Teil von GM. Das hat GM erkannt und prüft nun ihr weiteres Vorgehen.

WZ: Ist es nicht der Idealfall, dass ein Unternehmen für seine Tochterfirma einsteht?

Merkel: GM ist von sich aus auf uns zugekommen im Vorfeld der Insolvenz in Detroit. GM hat erklärt, dass sie kein amerikanisches Steuergeld nach Europa für Opel geben können und deshalb verkaufen wollen.

Deswegen gab es Gespräche mit Magna und den anderen Investoren und am Ende zwei fertige Verträge und auf dieser Basis haben wir eine Brückenfinanzierung bereitgestellt. Wir haben keinen Anhaltspunkt, dass GM von der Investorenlösung abrückt.

Klar ist: Wir sind im Gespräch und haben unsere Unterstützung bei einer Einigung mit Magna angeboten. GM muss sich nun entscheiden und wir hoffen, dass im Interesse des Unternehmens und der Mitarbeiter rasch Klarheit geschaffen wird.

WZ: Würden Sie mit Schwarz-Gelb den Atomausstieg rückgängig machen?

Merkel: Ich halte den schnellen Atomausstieg bis 2020 für falsch. Wir müssten Atomstrom aus Frankreich und Tschechien beziehen. Wir könnten mit unseren sehr hohen Sicherheitsstandards international nicht mehr mit gleichem Gewicht mitreden.

Viele Staaten, auch europäische, wollen derzeit neue Kernkraftwerke bauen. Das wollen wir nicht, aber wir wollen mitreden, wenn es um die Sicherheit von Kraftwerken geht.

WZ: Bleibt es nun beim Ausstieg oder nicht?

Merkel: Die Wirtschaft hat selbst unterschrieben, dass sie den Ausstieg mitträgt. Wenn wir die Restlaufzeiten verlängern, müssten die Betreiber im Gegenzug deutlich mehr Mittel für den Ausbau der erneuerbaren Energien bereitstellen.

Ich will zudem die ergebnisoffene Erkundung von Gorleben als Endlager für Atommüll weiterführen. Am Ende der Erkundung muss dann, unter Einbindung internationaler Experten, die Eignung entschieden werden. Ich halte nichts davon, Gorleben nicht weiter zu erkunden, aber gleichzeitig zu beklagen, dass wir keine Fortschritte für ein Endlager haben.

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