Tanztheater: Kecke Lustwandler im Wiesenland

Die Tänzer von Pina Bausch geben umjubelte Heimspiele im Schauspielhaus.

Wuppertal. Manches kann man an zehn Fingern abzählen. Für Anderes genügt ein Paar davon. Wenn Regina Advento mit keckem Augenaufschlag zwei Finger aneinander reibt und dabei schelmisch zwei Zuschauer fixiert, ist das eine handfeste Recherche.

Ob die beiden ein Paar sind? Oder die zwei daneben? Kein Problem: Advento reibt so lange, bis sie zwei passende Hälften gefunden hat. Bleibt die Frage, ob die beiden Kinder haben - dass auch diese intime Angelegenheit augenzwinkernd geklärt wird, ist so sicher wie die Begeisterung im Schauspielhaus, das Pina Bausch zum "Wiesenland" erklärt.

Der Name ist Programm: Grün wie die Hoffnung ist die Wiese von Peter Pabst. Obwohl sein Bühnenbild das Thema buchstäblich großartig umsetzt, für Atmosphäre und den passenden Nährboden sorgt, sind es eher die kleinen Szenen davor, die den Abend mit Emotionen und Menschlichkeit füllen.

Denn wenn 19 Tänzer nebeneinander am Bühnenrand stehen, den Zuschauern tief in die Augen schauen und mit ganzem Körpereinsatz fragen, ob ihre Gäste schnorcheln, klettern oder Auto fahren, wird ihr pantomimischer Einsatz zur persönlichen Fingerübung. Hinter der Ironie mag eine ernste Botschaft stecken: Wer kommunizieren will, braucht keine großen Worte. Auch wenn Helena Pikon einige formuliert.

"Sind Sie verliebt?", fragt die Tänzerin und sucht mit sanft-forschem Blick die Reihen ab. Und nicht erst, wenn sie betont-mitfühlend "Nein?! Wie schreeeeeecklich!" ruft, dürfte selbst dem letzten Zuschauer im ausverkauften Haus das Herz aufgehen.

Die Lustwandler im Wiesenland haben ihres längst verloren - an ein Plüschtier, das mit penibler Fürsorge an die Wäscheleine gehängt wird, an einen Büstenhalter, der genüsslich entrollt wird, an Strümpfe, die sich Mann und Frau wechselseitig überstreifen, oder an die Bettdecke, die sie sich gegenseitig wegziehen.

Dazwischen fließt (Bausch-typisch) viel Wasser auf die Köpfe der Damen, die sich von den Herren, die sie nass machen, deshalb aber noch lange nicht den Kopf waschen lassen, sondern das mit graziler Eleganz selbst andeuten. Sie wirken selbstbewusst, aber nicht unnahbar. Frauen können schließlich auch fliegen - wenn sie, wie vom Ensemble leichtfüßig praktiziert, von Männern auf Händen getragen werden.

Im moosweichen "Wiesenland" fällt der Geschlechterkampf versöhnlicher aus als ihn manch anderen Bausch-Stücken. Auch wenn zwischen den einzelnen Szenen vor und auf der grünen Landschaft nicht immer ein roter Faden zu erkennen ist, begeistert die Choreografie, die zuletzt 2002 im Tal zu sehen war. Denn was zählt, sind keine Worte, sondern Gesten. In bezaubernden Soli beweist das (nicht nur) Dominique Mercy, der im "Wiesenland" genauso viel Taktgefühl zeigt wie die Musik von Richard Marino ("Fever") bis Elektro Twist ("The invisible Striptease").

Am Wochenende feierte das Publikum Pina Bausch im Schauspielhaus. Aber auch gestern gab es handfestes Lob - in Düsseldorf. Dass der Kyoto-Preis nicht die letzte Ehrung gewesen sein dürfte, kann man übrigens an zehn Fingern abzählen: Die Kaiserin der Tanztheaters soll Ehrenbürgerin der Stadt werden.

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