Wuppertal Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte: Vom Geist der Weihnacht

Brian Barnes setzte Charles Dickens’ Dichtung vom hartherzigen Ebenezer Scrooge 20 Jahre lang in Wuppertal in Szene. In diesem Jahr nahm er Abschied.

Wuppertal: Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte: Vom Geist der Weihnacht
Foto: Anna Schwartz

Wuppertal. Ebenezer Scrooge ist ein verbitterter Geizkragen. Er sitzt in seinem kalten Kontor, den Blick starr auf die Bilanzen gerichtet. Für seine Mitmenschen hat er lediglich Verachtung übrig, und Weihnachten ist für ihn reine Geldverschwendung — nur Kosten, kein Nutzen. „Er ist schroff und einfach nur widerwärtig“, sagt Brian Barnes. Der 85-Jährige muss es wissen, denn kaum jemand kennt Scrooge so gut wie er.

Mit zusammen gezogenen Augenbrauen, angeekelt verzogenem Mund und drohend ausgestrecktem Zeigefinger hat der Brite die Figur aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte in unzähligen Aufführungen für die Zuschauer lebendig werden lassen. Als Ein-Mann-Theater setzte er das Stück mehr als 20 Jahre lang auch in Wuppertal in Szene. „Hier bin ich immer auf ein wunderbares Publikum getroffen. Viele sind fünf oder sechs Mal zur Vorstellung gekommen“, sagt Brian Barnes. Nun fiel auf der Bühne der Volkshochschule zum letzten Mal der Vorhang für seinen Ebenezer Scrooge.

Ein Wiedersehen soll es nicht geben, denn das Leben aus dem Koffer fällt dem leidenschaftlichen Schauspieler und Weltreisenden zunehmend schwer. „Mein Erinnerungsvermögen ist noch gut, aber die Beine machen nicht mehr so mit, und das Gepäck mit den Kostümen wird auch immer schwerer“, bekennt Brian Barnes. Dabei bezeichnet er sich selbst als einen geborenen Vagabunden.

„Vom Reisen habe ich schon als Kind geträumt. Wenn meine Onkel und Tanten damals nach einem Besuch mit dem Bus wegfuhren, bin ich in Tränen ausgebrochen, weil ich mitwollte“, erzählt der englische Gentleman mit weißem Haar und wachem Blick, während ein versonnenes Lächeln über seine Lippen huscht.

Im Laufe seines langen Künstlerlebens stand er in 87 Ländern der Erde auf der Bühne. Bewusst trat er auch in Regionen auf, die für andere tabu waren. „Im Iran war ich 1978 der letzte Schauspieler, der dort gastierte, in Papua Neuguinea war ich der erste. Im Irak bin ich aufgetreten, als Saddam Hussein an der Macht war, in Chile, als Pinochet dort regierte.“ Ein Nachmittagstee mit diesen Herrschaften wäre ihm allerdings nicht in die Tasse gekommen. „Mir waren immer nur die Menschen wichtig, für die ich gespielt habe.“

Trotz der vielen Begegnungen und Eindrücke von allen Kontinenten hat er seine Premiere in Wuppertal nicht vergessen. „Das war 1992, damals noch in der Zentralbibliothek. Die Leute waren so liebenswürdig“, berichtet er, ohne zu zögern. Der persönliche Kontakt zu den Organisatoren brach nie ab. „Deshalb war es für mich selbstverständlich, zum Abschied noch einmal nach Wuppertal zu kommen“, betont Brian Barnes.

Zum letzten Mal genoss er den Beifall des Publikums, das ihn in seiner Paraderolle feierte. „Mich reizt die Wandlung der Figur. Ganz langsam entwickelt sich Scrooge zu einem mitfühlenden Menschen.“ Dieser Prozess vollzieht sich vor allem in der Mimik und in der Stimme seines Darstellers. Dessen Züge glätten sich mit fortschreitender Handlung und seine Stimme klingt versöhnlich, fast glücklich, als er den Menschen schließlich „God bless everyone“ (Gott segne jeden von Euch) entgegenruft.

„Für mich ist es immer wieder faszinierend, wie Dickens diesen komplexen Charakter aufgebaut hat“, sagt Brian Barnes. Mühelos schlüpft er zwischendurch jedoch auch in die vielen anderen Charaktere aus dem viktorianischen Kosmos des Dichters. „Besonders viel Spaß habe ich an der Szene, in der Scrooges Neffe und seine Familie verschiedene Tiere raten. Die runde Schwester ist mir besonders ans Herz gewachsen. Sie habe ich meiner Tante nachempfunden, die wirklich fett war“, sagt er und imitiert prompt das hohe, laute Lachen der Figur.

Neben dem Kaleidoskop der Charaktere begeistert Brian Barnes der universelle Anspruch und die Aktualität der Handlung. „Sie ist nicht intellektuell, sondern einfach eine Geschichte über das Leben, die jeder versteht.“ Ihre Botschaft habe bis heute nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt. „Scrooge ist nur darauf fokussiert, Geld zu machen — wie so viele Menschen überall auf der Welt.“

Die Folgen personifiziert Dickens in den beiden Kindern namens Ignoranz und Bedürftigkeit, die Hand in Hand gehen. „Das eine bedingt das andere“, sagt Brian Barnes. Wenn er die Szene auf der Bühne spielt, steht ihm immer ein Paar aus Kalkutta vor Augen, dessen Behausung lediglich aus einer Plane auf vier Pfählen bestand. „Sie haben im strömenden Regen in einer Pfütze irgendetwas gekocht. Das war für mich wahre Not.“ Diese Erfahrungen sind in seinen Ebenezer Scrooge mit seinen verbitterten Zügen und der gepressten Stimme eingeflossen und haben ihn so authentisch gemacht.

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