Hilfsangebot Wenn Männer zu Gewaltopfern werden

Düsseldorf · Nordrhein-Westfalen und Bayern haben vor einem Jahr ein Beratungsangebot installiert. Nach hoher Nachfrage schließt sich ein weiteres Land an.

 Mit dieser Darstellung macht das NRW-Gleichstellungsministerium auf sein Angebot aufmerksam.

Mit dieser Darstellung macht das NRW-Gleichstellungsministerium auf sein Angebot aufmerksam.

Foto: Hilfe

Politisch hat es eine pikante Note: Ihre jeweiligen Regierungschefs Armin Laschet und Markus Söder bekämpfen sich erbittert im Rennen um die Kanzlerkandidatur - und die in den Landesregierungen für Gleichstellung zuständigen Ministerinnen Ina Scharrenbach (CDU, NRW) und Carolina Trautner (CSU, Bayern) präsentieren sich voller Harmonie -  bei einem Thema, das mit Blick auf Gleichstellung zunächst mal überraschen mag: Gewalt gegen Männer. Während es bei den rauflustigen Polit-Alphatieren eher um psychische Übergriffigkeit geht, ist der Hintergrund von Scharrenbach und Trautner ein sehr ernster. Es geht um das vor einem Jahr von NRW und Bayern gemeinsam eingeführte Hilfetelefon für männliche Gewaltopfer.

Fast 2000 Kontakte und Hilferufe in einem Jahr

Wie dringend notwendig diese staatliche Hilfestellung zu sein scheint, wurde am Montag bei der ersten Jahresbilanz deutlich, die Scharrenbach und Trautner in einer Online-Pressekonferenz vorstellten. Obwohl das Angebot bisher nur wenig bekannt sein dürfte, gab es in den zurückliegenden zwölf Monaten immerhin schon 1825 Kontakte von Hilfesuchenden. Anrufer oder Mailschreiber, die sich entweder akut bedroht fühlten; oder aber auch froh waren, nach langer Zeit der Verdrängung einmal offen über zurückliegende Gewalterfahrungen sprechen zu dürfen.

Zwar kommt es weit häufiger vor, dass Frauen zu Gewaltopfern werden, doch Ministerin Scharrenbach machte auch darauf aufmerksam, dass es 2019 bundesweit fast 27.000 männliche Opfer von Gewalt in Partnerschaftsbeziehungen gab, allein in NRW waren es rund 6400. Genau wie es Gewalt gegen Frauen gebe, gebe es auch Gewalt gegen Männer, das dürfe nicht verschwiegen werden.  Ein „zu oft als Tabuthema angesehenes Problem“, wie ihr Amtskollegin Trautner beipflichtete.

Die Auswertung der vergangenen zwölf Monate habe ergeben, dass Täter zumeist weibliche Partnerinnen (39 Prozent) oder Ex-Partnerinnen (12 Prozent) sind. In anderen Fällen sind aber auch die Eltern die Täter, manchmal kommen sie aus dem Bekanntenkreis. Die Betroffenen, so weit sie sich gemeldet haben, seien vor allem in der Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahren zu finden. Männer über 60 seien laut der Evaluation eher selten betroffen. Auch junge Männer unter 25 Jahren meldeten sich bislang nur selten bei der Hilfshotline.

Frau kommt von der Arbeit und misshandelt ihren Mann

35 Prozent der Betroffenen, die das Hilfsangebot in Anspruch nahmen, kamen aus NRW, 18 Prozent aus Bayern und der Rest aus anderen Bundesländern. Das zeige den überall bestehenden Bedarf, sagte Trautner, die sich mit Scharrenbach darüber freute, dass seit April nun auch Baden-Württemberg mitmacht. Im aktuellen NRW-Landeshaushalt sind 700.000 Euro Kosten für das Projekt eingeplant.

Birgit Gaile von der Arbeiterwohlfahrt in Augsburg erzählte von einem Fall, in dem sich ein Mann Anfang 30 an sie gewandt habe. In Elternzeit, er betreute die zwei kleinen Kinder. Seine Frau arbeitet in einer Apotheke und habe in dieser Coroanazeit viel Stress, komme oft schlecht gelaunt nach Hause. Und mache ihm Vorwürfe, erniedrige ihn mit Worten und schlage ihn, einmal sei er deshab sogar schon mit einem gebrochenen Arm ins Krankenhaus gekommen. Warum wehrt er sich nicht? Auch das werde natürlich thematisiert in so einem Gespräch, sagt Beraterin Gaile. Er sei anders erzogen worden, sei friedfertig und wollte die Frau nicht seinerseits körperlich misshandeln. So zog er sich immer weiter zurück. Soziale Netze aufzubauen - das ist der Ansatz der Berater in einem solchen Fall.

Birgit Gaile erzählt auch von dem Fall eines 19-Jährigen, den seine Familie in einem Dorf in der Türkei  zwangsverheiraten will. Er wurde mittlerweile in einer Männerschutzgruppe untergebracht.

Björn Süfke von der „Man o Mann“-Männerberatung in Bielefeld berichtete von einem 19-jährigen Mann, der in seiner Kindheit von mehreren Personen sexuell missbraucht worden war. „Der war unglaublich dankbar, endlich einmal darüber sprechen zu können.“ Und ein 40-Jähriger habe sich an ihn gewandt, der von seinem Partner zuhause wie in einem Gefängnis gehalten und überwacht wurde. Er konnte nur kurze Mails schreiben.

Und da war auch der 81-Jährige, der in seiner Kindheit derart grausige Misshandlungen erfahren habe, dass er zeitlebens keine Bindung habe eingehen können. Nie habe er darüber gesprochen. Erst nun, einige Monate nach dem Gespräch mit den Beratern, habe er sich nochmal gemeldet. In seinem Seniorenheim habe er einen Menschen gefunden. Mit der „junen Frau von 73 Jahren“ sei er nun zusammen.

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