Untersuchungshaft Aus der U-Haft entlassen – weil die Justiz zu langsam ist

Düsseldorf · 2018 kamen in NRW sieben mutmaßliche Täter frei. Trotz dringendem Tatverdacht und gegebenem Haftgrund.

 Bei U-Häftlingen hat der Staat eine besondere Verantwortung.

Bei U-Häftlingen hat der Staat eine besondere Verantwortung.

Foto: Kristin Dowe

Wie kann es zu Haftentlassungen mutmaßlicher Straftäter wegen zu langer Verfahrensdauer kommen? Diese Frage soll NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtags beantworten. Anlass für die Fragestellung ist die Tatsache, dass 2018 allein im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln in sechs Verfahren sieben U-Häftlinge wegen zu langer Verfahrensdauer entlassen wurden. Mutmaßliche Täter, die etwa wegen Verdachts auf gefährliche Körperverletzung, Erpressung, Raub, in einem Fall sogar wegen versuchten Totschlags inhaftiert waren, kamen frei, weil das Verfahren länger als sechs Monate dauerte.

In NRW werden jährlich 8400 Menschen in U-Haft genommen

Jemanden einzusperren, ohne dass er oder sie durch ein Gericht verurteilt wurde, ist ein Ausnahmefall. Schließlich gilt im Rechtsstaat die Unschuldsvermutung. Doch um die Durchführung des Strafverfahrens zu sichern oder einen womöglich gefährlichen Täter von weiteren Taten abzuhalten, können die Betroffenen in Untersuchungshaft genommen werden. Allein in Nordrhein-Westfalen betrifft das 8400 Menschen pro Jahr.

Für eine solche Entscheidung gibt es für die Strafgerichte freilich hohe Hürden. Zum einen muss der in U-Haft Genommene der ihm vorgeworfenen Tat „dringend tatverdächtig“ sein. Und es muss einen Haftgrund geben: Entweder Fluchtgefahr; oder es besteht Verdunklungsgefahr, das heißt, es steht zu befürchten, dass der Verdächtige Beweismittel manipuliert oder auf Zeugen Einfluss nimmt, wenn er in Freiheit verbleibt. Auch eine Wiederholungsgefahr kann ein Haftgrund sein.

Wird nun aber jemand als bloß mutmaßlicher Täter festgehalten, so hat der Staat eine besondere Verantwortung, dass dies nicht zu lange dauert. Der Untersuchungsgefangene kann jederzeit Haftbeschwerde einlegen. Hat er keinen Verteidiger, so ist ihm von Amts wegen ein Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen. Und: Dauert die U-Haft sechs Monate, prüft das zuständige Oberlandesgericht von Amts wegen, ob die weitere Dauer der U-Haft ausnahmsweise gerechtfertigt ist und ob das Verfahren bisher mit der gebotenen Beschleunigung durchgeführt wurde. Wenn nicht, so darf der Betroffene nicht länger festgehalten werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr geurteilt, dass eine nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein darf. Dem Beschuldigten dürfe nicht zugemutet werden, „eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte nachzukommen“. Ein deutlicher Fingerzeig, dass sich der Staat nicht mit dem Hinweis auf eine überlastete Justiz aus der Verantwortung stehlen darf. Dann muss er eben mehr Personal in der Justiz zur Verfügung stellen.

In seinem Bericht an den Rechtsausschuss des Landtags verweist Justizminister Biesenbach darauf, dass die Zahlen der Haftentlassungen nach langer U-Haft angesichts der 8400 jährlich in U-Haft Genommenen weniger als 0,1 Prozent ausmachten. Auch sei es die Aufgabe der Gerichte, und dementsprechend dem „Zugriff der Exekutive entzogen“, die Strafsachen organisatorisch abzuwickeln. Diese hätten nach den bekannt gewordenen Einzelfällen „das Erforderliche veranlasst“.

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