Meerbusch Die Niederrheiner und die Nordsee

Meerbusch. · Die Evangelische Kirchengemeinde Büderich und die Seemannsmission Cuxhaven führen seit 28 Jahren einen engen Austausch.

 Das Leben an Bord ist nicht so romantisch, wie man meint. Das lernen die Konfirmanden bei ihrem Aufenthalt in Cuxhaven.

Das Leben an Bord ist nicht so romantisch, wie man meint. Das lernen die Konfirmanden bei ihrem Aufenthalt in Cuxhaven.

Foto: Seemannsmission

Seit 28 Jahren besteht die Partnerschaft zwischen der evangelischen Kirchengemeinde Büderich und der Seemannsmission Cuxhaven. Seither zeigt Pfarrer Wilfried Pahlke seinen Konfirmanden am Beispiel der Seemannsmission, wie unterschiedlich Diakonie sein kann. „Kirche ist nicht nur in der Gemeinde vor Ort, sondern überall dort, wo Menschen leben, arbeiten und in Probleme geraten“, sagt Pahlke. Der Nordseefan fährt normalerweise mehrmals im Jahr privat nach Cuxhaven in den Urlaub. Als die Idee der Partnerschaft kam, nahm er Kontakt zu Cuxhavens Seemannsdiakon Martin Struwe auf, der ihn mit offenen Armen empfangen habe. „Es hat sich etwas ganz Tolles entwickelt“, sagt Pahlke stolz.

In der Konfirmandenfreizeit besuchen Jugendliche aus Meerbusch jedes Jahr in der ersten Herbstferienwoche eine Jugendherberge in Cuxhaven-Duhnen. Dort bekommen sie einen Einblick in die Arbeit auf hoher See sowie die Seelsorge mit Live-Erlebnissen bei der Seemannsmission. Im anschließenden Konfirmations-Unterricht werde ihnen umso deutlicher, wie wichtig Sozialprojekte wie diese sind, so Pahlke. „Es ist ganz praktische Nächstenliebe und -hilfe. Verschiedene Religionen und Kulturen kommen miteinander ins Gespräch. Im Nachhinein betonen die Jugendlichen immer sehr, wie wichtig dieses menschliche Miteinander für sie ist.“

Die Seeleute, meistens Männer und weniger Frauen, fahren unter der Flagge von Mindestlohn-Ländern wie etwa Honduras oder die Philippinen. Dementsprechend werden sie bezahlt. Die Seemannsmission in Cuxhaven unterstützt Menschen in menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Ein großer Teil der Seemänner kommt von den Philippinen, erzählt Pahlke. Sie verdienen hier zwar mehr als sie auf den Philippinen jemals bekommen könnten, aber trotzdem sei das nicht menschenwürdig.

Wenn ein Schiff anlegt, können die Seemänner oft gar nicht von Bord kommen. Während des Entladens beladen sie direkt schon wieder oder machen Reparaturen am Schiff. „Diese Seefahrtromantik gibt es nicht. Eine Seefahrt ist gar nicht so lustig, wie es in einem bekannten Lied heißt“, sagt Pahlke.

Besonders jetzt in der Corona-Krise gehören Seefahrer für Pahlke zu den Menschen, die mit ihrer Arbeit Besonderes leisten und in systemrelevanten Berufen arbeiten. Denn 90 Prozent aller Exporte und Importe gehen über den Seeweg. „Ohne die Seefahrt würden jetzt in der Corona-Krise viele Lebensmittel nicht da sein. Leider werden die Seefahrer immer vergessen“, sagt Pahlke.

Auch als das Tui-Kreuzfahrtschiff „Mein Schiff 3“ (MS 3) wochenlang in Cuxhaven gelegen hat, war die Seemannsmission federführend in der Betreuung von rund 3000 Crew-Mitgliedern. Konnten die vielen Urlauber schon längst von den Kreuzfahrtschiffen gehen, so mussten die meisten Crew-Mitglieder dagegen an Bord ausharren.

Die Seemannsmission ist für die Seeleute ein Stück Heimat. Sie helfen ihnen bei Todesfällen Abschied zu nehmen und sprechen mit den Menschen an Bord. Die Seeleute sehen bis zu einem ganzen Jahr die eigene Heimat nicht – die Seemannsmission hilft auch dabei, mit den Familien Kontakt zu halten, zum Beispiel durch Videotelefonie.

„Es gibt einen Seemannsclub, ein bisschen außerhalb des Hafens. Dort können die Seefahrer ihre Freizeit verbringen und kostenloses Internet benutzen“, sagt Pahlke. Unter anderem diesen Seemannsclub unterstützt die Gemeinde Büderich mit ihren Kollekten, die jährlich an die Seemannsmission übergeben werden. „Das ist hier mittlerweile auch schon selbstverständlich.“ 2018 konnten mehr als 10 000 Euro überreicht werden, eine Sammlung aus Kollekten von Taufen, Trauungen, Konfirmationen und anderen Anlässen. „Wenn ich im Vorhinein die Spenden-Liste vorlege, dann wird oft die Seemannsmission ausgewählt, weil es die direkte Beziehung zur Gemeinde gibt“, erklärt Pahlke. Finanziert wurden damit bereits die Umgestaltung des Gartens im Seemannsclub, Renovierungsarbeiten und Telefonkarten für die Seemänner. Die Jugendlichen übergeben die jährlich gesammelten Kollekten aus der Gemeinde Büderich während der Konfirmandenfreizeit im Herbst.

„Ich hoffe, dass wir die Konfirmandenfahrt im Herbst durchführen können, das ist wegen Corona noch alles offen“, sagt Pahlke. Sollte das nicht sein, bekommen die Konfirmanden am Sonntag der Seefahrt die Möglichkeit. Dieser Tag findet traditionell am dritten Sonntag im September in Büderich statt und wird nach Cuxhavener Vorbild gehalten. In diesem Jahr ist er für den 20. September ab 10 Uhr geplant. Diakon Martin Struwe aus Cuxhaven wird nach Büderich kommen und die Gastpredigt halten.

„Ich habe das auch schon in Cuxhaven gemacht, das ist ein Austausch“, sagt Pahlke. Der Shanty-Chor aus Krefeld Linn singt Lieder und anschließend gibt es im Gemeindesaal das Fischbrötchenessen.

Dass diese gefestigte Partnerschaft sich durch die gesamte Gemeinde in Büderich zieht, zeigt auch ein Handarbeitskreis der Senioren, der im Winter dicke Wollsocken für die Seemänner strickt. Auch mit den Senioren der Gemeinde ist Pahlke regelmäßig in Cuxhaven zu Gast. An einen Moment erinnert sich der Pfarrer besonders gerne: „Einmal war ich mit 50 Senioren vor Ort und einer unserer Teilnehmer war selbst Seemann gewesen und hatte Tränen in den Augen, als der Seemannsdiakon von der Arbeit dort erzählte. Er war vollkommen gerührt und emotional, als er seinen Beruf wiedererkannt hat.“

Für Pahlke persönlich bedeutet die 28-jährige Partnerschaft Nachhaltigkeit. Zu sehen, dass die Frage, was Kirche und direktes Handeln oder Nächstenliebe ist, immer wieder Bestand hat und in der Gemeinde Thema ist. „Ich bin sehr froh darüber, dass die Niederrheiner an die Nordsee denken. Das ist ein wunderbares Gefühl und tut mir nach 30 Jahren als Pastor in Büderich sehr gut“, sagt Pahlke. Und so hoffe er, dass er die letzten Jahre seines Dienstes diese Partnerschaft weiterhin aufrechterhalten kann.

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