Kaldenkirchen Realschüler üben sich als junge Eltern

Kaldenkirchen. · Die Zehntklässler in Kaldenkirchen versorgen drei Tage lang Babysimulatoren.

 Aliyah (15) und Joanna (r.) üben mit täuschend echt aussehenden Babysimulatoren. Birgit Schölzel (l.) und Claudia Straßburg (2.v.r.) begleiteten das Projekt an der Realschule Kaldenkirchen.

Aliyah (15) und Joanna (r.) üben mit täuschend echt aussehenden Babysimulatoren. Birgit Schölzel (l.) und Claudia Straßburg (2.v.r.) begleiteten das Projekt an der Realschule Kaldenkirchen.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Mitten in der Nacht fing Mina an zu schreien, da war es mit dem Schlaf vorbei: „Die Windeln mussten gewechselt werden“, erzählt die 16-jährige Joanna, während sie die Kleine auf dem Arm wiegt. „Ich musste Mina trösten, das dauerte ganz schön lange, bis sie Ruhe gab.“

Ähnliche Erfahrungen machten die zwölf übrigen Realschülern in der ersten Nacht mit eigenem Baby. Während sich die jungen Eltern im Klassenzimmer über ihre Erlebnisse austauschen, schlafen die Säuglinge. Schließlich sind Ruhe und Konzentration gefragt im sozialpädagogischen „Elternpraktikum“ in der Realschule.

Täuschend echt wirken die Babypuppen, die sich über Sensoren steuern lassen: „Sie werden von uns programmiert, wann sie weinen, Hunger haben oder neue Windeln brauchen“, erklärt Birgit Schölzel. Die Sozialpädagogin und ihre Kollegin Claudia Straßburg, beide vom Sozialdienst katholischer Frauen Viersen (SkF), begleiten das Elternpraktikum an der Realschule Kaldenkirchen.

Dabei konnten die Jugendlichen wie Joanna drei Tage und Nächte mit den Babysimulatoren das Elternsein üben. Dazu gehören praktische Übungen, Rollenspiele und Gesprächsrunden. „Im Praktikum geht es auch darum, dass junge Menschen erfahren, was es heißt, rund um die Uhr für ein Kind da zu sein, wie sich das Leben dadurch verändert“, so Schölzel. Außerdem, ergänzt Straßburg, stünden „Themen wie Verhütung und Partnerschaft im Mittelpunkt“. Leichtfertiger Umgang mit Verhütung und ungewollte Schwangerschaften kommen, so die Erfahrungen der SkF-Expertinnen, oft auch unter Jugendlichen vor.

Die Schüler haben sich freiwillig fürs Elternpraktikum gemeldet

Das Praktikum dient laut Straßburg deshalb der Prävention: „Junge Leute haben ja meist noch keine Vorstellung davon, was es heißt, für ein Kind verantwortlich zu sein.“ Aus Beratungen des SkF, etwa zur Vereinbarkeit von Mutterschaft und Ausbildung, kenne man Fälle, in denen Schülerinnen ein Kind als Alternative zur Ausbildung und Mutterschaft sehen und gleichsam als Statussymbol missverstehen.

Die Zehntklässler der Städtischen Realschule Nettetal in Kaldenkirchen haben sich freiwillig für das Elternpraktikum gemeldet: „Ich finde es schön und wichtig, einmal ausprobieren zu können, wie das mit einem eigenen Kind wäre“, meint Aaliya (16). Familie und Freunde hielten das auch eine gute Idee. Dabei gehört durchaus Mut dazu, mit einer Babypuppe in der Trage zur Schule zu laufen oder mit kleinen in den Schulbus zu steigen: „Manche gucken komisch. Aber wenn sie hören, worum es geht, finden sie das gut“, hat Niclas (16) erfahren.

„Ich mag Kinder, möchte Erzieher werden. Für mich ist das hier eine gute Gelegenheit, etwas Praktisches zu lernen“ sagt Lukas (16). Aufgeklärt sind alle Schüler. Sexualität und Verhütung sind „Themen im Biologie-Unterricht und bei Projekttagen“, wie Realschulleiter Joachim Sczyrba erläutert. Er ist angetan vom Elternpraktikum: „Für unsere Schüler kommt es ja nicht nur darauf an, Vokabeln zu lernen, sondern auch, was es heißt, Verantwortung im Leben zu übernehmen.“

Und einfach mal das Baby abgeben? Das geht nicht. Die Eltern auf zeit müssen Verantwortung für ihren Nachwuchs übernehmen - rund um die Uhr. Wie in der Realität.

Sie sind alle an ihren gesicherten Armbändern zu erkennen: „Darin ist ein Sensor, auf den die Puppen reagieren“, erläutert Schülzel. So könne niemand sein Baby einfach an einen anderen zur Betreuung abgeben. Die beiden Referentinnen können an den Puppen „abmessen, ob und wann etwa gewickelt wurde“.

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