Sinfoniekonzert Niederrheinische Sinfoniker reißen Kritiker mit

Krefeld · Unser Kulturredakteur hat sich dem 1. Sinfoniekonzert im Seidenweberhaus ausnahmsweise auf eine ganz persönliche Art genähert.

 Sophie Pacini spielte beim ersten Konzert der Saison Schumann mit den Niederrheinischen Sinfonikern.

Sophie Pacini spielte beim ersten Konzert der Saison Schumann mit den Niederrheinischen Sinfonikern.

Foto: Andreas Bischof

Zum Auftakt der neuen Konzert-Saison der Niederrheinischen Sinfoniker möchte ich mal einen etwas anderen Zugang wählen. Eingefleischte Rezensionsleser werden es schon daran gemerkt haben, dass das kleine aber sehr bedeutsame Wort „ich“ auftaucht, was sonst eher seltener seinen Platz in Konzertbesprechungen findet. Denn dort bemühen sich die Rezensenten stets, Beobachtungen, Einschätzungen, Hintergrundinfos und dergleichen, möglichst objektiviert, dem geneigten Leser anzubieten. Wenngleich es doch so ist, dass ein jeder – auch und vor allem ein Musikkritiker – immer nur das beschrieben und in möglichst schöne Worte packen kann, was er selbst mit eigenen Ohren wahrgenommen hat.

Kritiken sind Rekonstruktionen des eigenen Höreindrucks

Aber ich glaube, es ist durchaus legitim, sich mal als Rezensent ganz persönlich zu Worte zu melden. Insbesondere bei einem Konzert, an dem das Rezensenten-Herz so sehr hängt, und dies wegen des Programms. Denn das 1. Sinfoniekonzert, das im Seidenweberhaus unter der Leitung von Gastdirigent Stefanos Tsialis zu hören war, vereinte in sich drei Meisterwerke europäischer Kunstmusik, die mich im Grunde seit meiner Kindheit begleiten, mich faszinieren, so manches Hochgefühl geschenkt, so manche Stunde versüßt haben. Schumanns Klavierkonzert, die erste Sinfonie von Johannes Brahms und nicht zuletzt die Coriolan-Ouvertüre von Beethoven. Eigentlich könnte man denken, dies sei ein Programm wie aus dem vorletzten Jahrhundert, und in der Tat ist diese Dreierkombination fast schon stereotyp für „klassische“ Programmgestaltung. Klassisch und einfallslos? Nun, natürlich kann man Derartiges vorwerfen, sich fragen, ob man drei Hits an einem Abend so dicht miteinander paaren sollte, ob die schon für sich sehr eindrucksvollen Werke sich nicht die Show stehlen? Aber in Zeiten, in denen durchaus zurecht ungewöhnlichste Kombinationen und bisweilen selten gespielte Werke als Maßstab für ein kreatives Konzertprogramm gelten, ist es sehr erfrischend, mal ein Programm zu erleben, das wirklich ein Fest europäischen Konzertrepertoires ist.

Ich habe mich also auf dieses Konzert sehr gefreut – fast wie ein kleines Kind. Diese Freude trübte sich leider zunächst durch den Weg in das Seidenweberhaus, das der Würde eines Konzertbesuches eher nicht gerecht wird. Es ist aber eher traurig, als das man sich so sehr darüber aufregen möchte, dass der Eingang des Krefelder Konzertsaals nach Urin riecht.

Für große Vorfreude sorgte indes die Neugierde auf die Interpretation des schumannschen Werkes durch die Sinfoniker, geleitet durch den griechischen Dirigenten, am Klavier gespielt von Sophie Pacini. Das Interview, das ich zuvor mit ihr geführt hatte, ließ aufhorchen, und vieles von dem, was sie über Schumanns Musik zu sagen hatte, erschien mir mehr als inspirierend.

Doch Worte sind immer etwas anderes als die tatsächlich gespielte Musik und ja, es ist immer nur eine ganz vage Annäherung, die das Sprechen über Musik leisten kann. Wie möchte man eine Emotion, ein Hinaufsteigen von musikalischen Gedanken, einen Höreindruck denn auch genauso auf den Punkt beschreiben, wie er wirklich vonstatten ging? Was wir Kritiker machen, ist auch immer eine Wiederannäherung an das, was wir erlebt haben. Eine Rekonstruktion eines Erlebnisses, so wie man während des Hörens einer Sinfonie das gesamte Werk im eigenen Gehirn rückblickend und vorausahnend als Ganzes zu begreifen sucht.

Viel kann aber auch über das Richtig oder Falsch in Interpretationen – das Wort sagt es schon – diskutiert werden. Was mir bei dem sehr emotional gespielten und bis auf wenige Ausnahmen musikalisch stimmigen Abend sofort auffiel ist, dass die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Tsialis einen ausgesprochen aufgeladenen, kraftvollen und zupackenden Ton produzierten. Niemand weiß genau, wie Werke etwa von Beethoven früher gespielt wurden – allerdings gibt es historische Aufnahmen aus dem sehr frühen 20. Jahrhundert, die überraschen. Aber muss Musik, die heute gespielt wird, mit gleichem musikalischem Werkzeug geschnitzt werden wie zu seiner Entstehungszeit? Falls Sie die hin und wieder mit spitzesten Speeren – dagegen ist Wotans Speer ein Wattestäbchen – gefochtetenen Kämpfe um historisch informierte, authentische oder auch besonders werktreue Interpretation, nicht nur unter Fachleuten, nicht verfolgen: es ist bisweilen vergleichbar mit Auseinandersetzungen von Fußballfans. Also kurz: Kaum jemand weiß genau, was der richtige Weg ist, denn Noten bieten nur bis zu einem bestimmten Punkt Anweisungen, was zu tun ist, vieles obliegt dem Künstler, dem Interpreten. Und doch wissen es alle besser.

Nicht vergessen sollte man indes, dass die Musiker, die hier spielen, ausnahmslos alle – nicht nur die mit viel Herzblut spielende Pianistin – studierte Musiker sind, die ihr Leben lang genau das tun – nämlich herauszufiltern, wie welcher Ton zu spielen ist. Alles Menschen, die sich viele Gedanken machen darum, wie sie eine Phrase formen sollen, wie sie eine Stimme gestalten, wie laut oder leise – um mit gewöhnlichen Worten zu sprechen – sie spielen, wo sie atmen, wie sie greifen, blasen, zupfen.

Tsialis, der Dirigent, macht um seine Bewegungen nicht allzu viel Show – wenngleich man fragen kann, was die immer wieder auftauchende Unsitte soll, in langsamen Sätzen den Takstock abzulegen? Zeigen soll es, dass so ein sanfteres Zupacken in lyrischen Momenten möglich ist. Aber wer mit Taktstock keine sanften Momente im Klangzauber erzeugen kann, dem dürfte dies ohne auch nur bedingt gelingen. Aber ich möchte ihm hier keinen Vorwurf machen, er wird sich dabei etwas gedacht haben. Allerdings sind seinem Dirigat die energetischen, kraftvollen Momente näher, als das mystisch neblige. Dies indes kultiviert die Pianistin Pacini, wenn sie ihr Spiel, das technisch über jeden Zweifel erhaben ist, mit recht viel Pedal auch mal in einen Weichzeichner hüllt. Und da ist er wieder, der Rezensent in mir. Aber manchmal sollte man sich einfach mitreißen lassen. Dafür ist dieses Konzert ideal geeignet.

Dafür gibt es in Krefeld (Seidenweberhaus) am Freitag nochmals um 20 Uhr Gelegenheit.

Und versprochen, bei dem nächsten Konzert gibt es wieder eine „normale“ Musikkritik.

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