Gerhard Rühm Theater am Marienplatz: Der Wahnsinn ist der normale Zustand

Theater am Marienplatz startet Gerhard-Rühm-Jahr mit „Wahnsinn Litaneien“.

 Tam-Leiter Pit Therre.

Tam-Leiter Pit Therre.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

„In den 1950er-Jahren war Gerhard Rühm im Wiener literarischen Underground der radikalste Experimentator.“ Man liest diesen Satz aus einem alten Klappentext mit Staunen. Wien hatte einen literarischen Untergrund? Hatte dann Literatur auch noch etwas Subversives? Man kann sich das alles ja heutzutage kaum noch vorstellen. Und wer war dieser Gerhard Rühm? Im Theater am Marienplatz (Tam) kann man Werken Rühms in der gesamten Spielzeit 2019/20 wiederbegegnen. Das Rühm-Jahr im Tam ist allerdings kein Gedenkjahr, sondern ein Feierjahr. Der noch lebende Autor wird im kommenden Februar 90 Jahre alt.

Werke von Rühm im Tam, das ist nichts Ungewöhnliches. Tam-Leiter Pit Therre und sein Ensemble widmen sich seit über 40 Jahren den experimentellen Autoren in Literatur und Musik, und Rühm gehörte fast von Beginn an zu den Hausautoren. Der studierte Musiker wohnt obendrein schon lange in Köln. Es sollte also nicht verwundern, wenn er demnächst einmal die Aufführung eines seiner Stücke in Krefeld besucht.

Konkrete Poesie, das ist die Spezialität Gerhard Rühms, also Dichtung, die sich davon abgewendet hat, sinnstiftend über etwas zu berichten. Anstatt dessen wird die Sprache selbst zum Gegenstand, ihre klangliche oder auch ihre optische Gestalt wird von Belang. Dabei entstehen Lautgedichte und visuelle Lyrik.

Rühm war Mitglied der Wiener Gruppe, zu der etwa auch H. C. Artmann, Friedrich Achleitner und Konrad Bayer gehörten, alle ebenfalls Autoren der konkreten Poesie. Zum Auftakt seiner Rühm-Reihe bringt das Tam-Ensemble im September das Programm „Wahnsinn Litaneien“ heraus, Premiere ist am Freitag, 6. September, um 22 Uhr. Die Aufführung versammelt sieben Texte aus dem gleichnamigen Band, der 1973 im renommierten Carl Hanser Verlag erschienen ist. „Stets geht es darum, Wahnsinn nicht als außergewöhnlichen, sondern als normalen Zustand zu vergegenwärtigen“, wird man im Vorwort dieses Buches belehrt.

Rühm hat Namen von Blumen
in Einzelteilen vertont

Im Oktober kommt es dann im Tam zu einer Rühm-Uraufführung. Pit Therre wird das „Blumenstück für Klavier“ darbieten. Hier hat Rühm die Namen von Blumen Buchstabe für Buchstabe in Töne und Tonfolgen übersetzt, die als gebrochene Akkorde gespielt werden.

Es folgen in diesem Jahr dann noch „Chansons für Gesang und Klavier“ (November), vorgetragen von Karsten Lehl, Gesang, und Alfred Pollmann, Klavier. Der Abend mit „Minidramen“, ebenfalls eine Uraufführung, versammelt „aphoristische Szenen“ und ist dann im Dezember zu sehen.

Beginn des Gerhard-Rühm-Jahres im Theater am Marienplatz mit „Wahnsinn Litaneien“. Premiere: Freitag, 6. September, 22 Uhr. Weitere Aufführungen: 13., 20. und 27. September, jeweils um 22 Uhr.

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