Tod in JVA Nein zu Sonderermittler im Fall Amed A.

Düsseldorf · NRW-Justizminister Biesenbach (CDU) weist Forderung  im Fall des in seiner Zelle verstorbenen Syrers zurück. Er habe auch keine Angst vor einem U-Ausschuss.

Die Gefängniszelle in Kleve nach dem Brand. 

Die Gefängniszelle in Kleve nach dem Brand. 

Foto: dpa/Markus van Offern

9 Sekunden!  Was wie die Überschrift eines Thrillers klingt, steht im Fettdruck über einem vierseitigen Schreiben, das Sven Wolf am Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtags an die Abgeordneten und die zahlreichen Journalisten verteilen lässt. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion begnügt sich nicht damit, seine Einschätzung zum Fall Amed A. mündlich zu geben. Die rätselhaft erscheinende Überschrift und die eher unübliche Verteilung des Redetextes sollen Neugier erzeugen für das, was er will. Und das steht auf Seite 4 seines Schreibens: dass er kein Vertrauen mehr in den Aufklärungswillen von Justizminister Peter Biesenbach (CDU) habe. Und dass er einen Sonderermittler fordert. Und dann das Ultimatum:  Werde dem nicht stattgegeben, müsse es eben einen Untersuchungsausschuss zu dem Fall geben.

Wolf: Biesenbach kann nicht länger Chefaufklärer sein

Der Fall ist der des 26-jährigen Syrers Amed A. Dieser war bei einem Brand in seinem Haftraum in der JVA Kleve am 17. September so schwer verletzt worden, dass er später diesen Verletzungen erlag. Wegen einer Verwechslung mit einem von der Staatsanwaltschaft Hamburg per Haftbefehl gesuchten (dunkelhäutigen) Mannes aus Mali war der (hellhäutige) Syrer Anfang Juli in Haft genommen worden. Seit Wochen nehmen SPD und Grüne Biesenbach dafür in die politische Verantwortung.

In dem am Montag veröffentlichten vorläufigen Bericht des Justizministers zu dem tragischen Fall glaubt Wolf eine Begründung dafür gefunden zu haben, warum er dem Justizminister als „Chefaufklärer“ nicht trauen könne. Und da geht es dann auch um die ominösen neun Sekunden. Der später verstorbene Syrer soll nach den Ermittlungen das Feuer in seiner Zelle selbst gelegt haben, gegen 19 Uhr. Danach soll er mindestens 15 Minuten in dem brennenden Raum ausgeharrt haben, bevor er sich über die Gegensprechanlage  beim Wachpersonal zu melden versuchte.

Wie diese Gegensprechanlage funktioniert, erklärt Jakob Klaas, Abteilungsleiter Justizvollzug im Justizministerium, den Abgeordneten so: Der Gefangene drückt auf einen Knopf im Haftraum, es läuft ein Signal im Abteilungsstand des wachhabenden Beamten auf, dass ein „Sprechwunsch“ bestehe. Gleichzeitig leuchte eine Lampe außerhalb der Zelle, von der der „Lichtruf“ abgesetzt wurde. Dann entscheide der Beamte, ob er dem Sprechwunsch nachkommt oder andere Dinge für ihn vordringlicher sind.

Was an dem Abend konkret passiert ist, ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Allerdings findet sich in dem 60-seitigen Bericht des Justizministeriums eine Passage, die sich auf „Hörensagen“ stützt, wie Klaas gegenüber den  Ausschussmitgliedern betont. Danach soll um 19.19 Uhr ein Lichtruf im Abteilungsbüro aufgelaufen sein. Der Bedienstete soll den Lichtruf angenommen und dem Gefangenen mitgeteilt haben, dass er derzeit noch ein Telefonat  zu führen habe. Da der Gefangene sich nicht weiter bemerkbar gemacht habe, sei der Lichtruf danach quittiert (beendet) worden.

SPD-Mann Wolf betont, dass die Ermittler herausgefunden hätten, dass der Telefonkanal zwischen dem in Flammen stehenden Haftraum und dem Abteilungsstand um 19.19 Uhr für neun Sekunden geöffnet war. Offen sei, was in diesen neun Sekunden gesprochen worden ist. Stefan Engstfeld (Grüne) hakt nach, ob dann nicht auch Brandgeräusche hörbar gewesen sein müssten. Antworten darauf gibt es nicht.

Wolf reicht das nicht. Er versucht, Biesenbach widersprüchliches Verhalten nachzuweisen. Wenn dieser betone, dass die Staatsanwälte die Sache zu klären habe, dürfe er doch nicht eine Art „Paralleljustiz“ betreiben. Und nun für plausibel halten, was Experten bei ihrem Besuch in der JVA Kleve im Rahmen einer „kollegialen Beratung“ erfahren hätten. Nämlich die Version des versuchten und beendeten Sprechwunsches.

Das seien keine Ermittlungen gewesen, betont Biesenbachs Abteilungsleiter Klaas. Die Ermittlungen lägen bei der Staatsanwälten. Diese ermittelten mit Zeugenbefragungen,  Ergebnisse stünden  noch aus. Auch Biesenbach setzt auf die Staatsanwälte und erteilt der Forderung von Wolf nach Einsetzung eines Sonderermittlers eine Absage. Eine zehnköpfige Kommission der Staatsanwaltschaft ermittle unabhängig und intensiv.  Wenn Wolf glaube, er, Biesenbach, fürchte sich angesichts der Drohung mit einem Untersuchungsausschuss, dann irre er. „Das macht mir keine Angst. Glauben Sie ernsthaft, all die vielen Menschen, die derzeit die Ermittlungen betreiben, hätten ein Interesse, irgendwas zu vertuschen?“

Justizminister schlägt Kommission für Strafvollzug vor

Biesenbach geht auch im eigenen Interesse eines funktionierenden Strafvollzugs auf die Opposition zu und schlägt vor, unter Beteiligung von SPD und Grünen eine  Kommission von Praktikern einzusetzen. Die soll sich Gedanken machen, wie tragische Fälle wie dieser verhindert werden können – angefangen von der Verwechslung des Inhaftierten über die Beurteilung möglicher Selbsttötungsabsichten bis zu mehr Sicherheit in den Haftanstalten.

SPD-Mann Wolf, der inzwischen gemerkt hat, dass er den Justizminister mit seinem Ultimatum „Sonderermittler, sonst Untersuchungsausschuss“ nicht beeindrucken kann, unternimmt einen seltsam anmutenden letzten Anlauf, der wie der Versuch einer Gesichtswahrung aussieht. Ob er den Minister richtig verstanden habe, dass dieser einen Sonderermittler zur Frage der strukturellen Konsequenzen des Falles einsetzen wolle. Lächelnd stellt Biesenbach klar: Nein, er wolle eine Kommission zu den strukturellen Fragen und den Lehren aus dem Fall, aber keinen Sonderermittler zu dem konkreten Fall.

Nun müssen SPD und Grüne entscheiden, ob ihnen das reicht. Ob sie auf die staatsanwaltliche Aufarbeitung des Falles vertrauen oder die politische Bühne eines Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung des konkreten Falles wollen. Denn Fragen sind in der Tat noch jede Menge offen. Wie diese: Hat sich der Syrer tatsächlich nicht gegen seine Inhaftierung zur Wehr gesetzt, wurde eine Selbsttötungsabsicht fahrlässig nicht erkannt? Wie konnte es zu der  unglaublichen Personenverwechslung kommen? War es wirklich so, dass es in der Zelle 15 Minuten brannte, ohne dass das jemandem auffiel? Hat Amed A. schon früher um Hilfe gerufen? Was passierte in den neun Sekunden?

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