JVA Kleve Fall Amed A.: Zweifel an Suizid-Theorie

Düsseldorf · Lagen Fehler wirklich nur bei der Polizei? Die Opposition glaubt das nicht – die Ermittler wohl auch nicht mehr.

In der JVA Kleve brach am 17. September ein Brand auf – der 26-jährige Syrer starb in der Folge.

In der JVA Kleve brach am 17. September ein Brand auf – der 26-jährige Syrer starb in der Folge.

Foto: dpa/Markus van Offern

Bei der Beerdigung von Amed A. – dem unschuldig inhaftierten und nach einem Brand in der JVA Kleve verstorbenen Syrer – trug dessen Vater ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wer ist der Mörder meines Sohnes?“ So schildert es SPD-Fraktionsvize Sven Wolf in einem Brief an Innenminister Herbert Reul und Justizminister Peter Biesenbach (beide CDU). Beide dürften diese Beschreibung nicht brauchen – denn sie waren selbst bei der Zeremonie in Bonn am vergangenen Wochenende dabei. Wolfs Schreiben hat aber einen anderen Hintergrund: „Gibt es systematische Probleme im Vollzug?“, fragt sich der Politiker.

Nach dem Tod von Amed A. und dem Bekanntwerden seiner Verwechslung mit einem gesuchten Dieb aus Mali leitete die Staatsanwaltschaft Kleve Ermittlungen gegen Polizisten ein, die an A.s Festnahme Anfang Juli beteiligt gewesen waren. Denn die Feststellung der Identität ist Polizeisache. Die Opposition im NRW-Landtag spricht allerdings auch von einem „Justizskandal“ – denn immerhin saß der Syrer zweieinhalb Monate im Gefängnis, ohne dass der Fehler auffiel. Deshalb gerät mehr und mehr auch der Vollzug bei der Aufklärung in den Fokus. Nach Informationen unserer Zeitung könnten die Ermittlungen auf Bedienstete der JVA ausgeweitet werden.

Wie Justizminister Biesenbach im Landtag berichtet hatte, soll A. in seiner gesamten Zeit in der JVA nur ein einziges Mal – bei einem Gespräch mit der Anstaltspsychologin am 3. September – geäußert haben, er sei nicht der eigentlich gesuchte Mann. Dachte der Syrer, er sitze wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung hinter Gittern? Dieser war Auslöser für den Polizeieinsatz, bei dem A.s Personalien überprüft und mit der Aliasidentität des Diebs aus Mali verwechselt wurden. Sven Wolf fragt in seinem Brief an Reul und Biesenbach: Wann und durch wen wurde A. mitgeteilt, dass er eine Ersatzfreiheitsstrafe für einen Diebstahl in Hamburg absitzt? Wurde mit ihm ein Vollzugsplan erstellt, wie ihn das Vollzugsgesetz vorschreibt? Kernpunkt eines solchen Plans ist die Aufarbeitung der begangenen Straftaten – Wolf fragt, wie diese erfolgen konnte, wenn A. die Tat, für die er verhaftet wurde, ja gar nicht begangen hatte. Und: Laut Biesenbachs Bericht wurde A. nach der Beendigung der Beobachtung aufgrund seiner Suizidgefahr in der JVA Geldern mit „Gefangenen mit ähnlich kulturellem Hintergrund“ untergebracht – also mit Menschen aus Mali? Schließlich nahm man das westafrikanische Land als Heimat an, es wäre in diesem Fall aber sofort aufgefallen, dass A. und die Mitinsassen sich nicht verstehen.

Verkettung von Einzelfällen oder gibt es Probleme im Vollzug?

„All diese Fragen muss man doch jetzt mal beantworten“, fordert Wolf. Auch um herauszufinden, ob eine „tragische Verkettung von Einzelfällen“ zum Tod des Syrers in der JVA führte oder generelle Probleme wie beispielsweise eine chronische Überlastung der Vollzugsbediensteten. Schon lange gibt es Berichte über unbesetzte Stellen in den Gefängnissen auf der einen und steigenden Herausforderungen etwa durch immer mehr psychisch auffällige Insassen auf der anderen Seite. Und auch in dieser Hinsicht wirft der Fall Amed A. Fragen auf, die Wolf in seinem Schreiben benennt: Am 10. Juli untersuchte eine Psychologin A. wegen dessen Selbstmordgefährdung und vermerkte in der Akte, eine erneute Untersuchung unmittelbar nach der Vernehmung durch die Kripo sei „unbedingt erforderlich“ – und das in Großbuchstaben. Ob die Vernehmung je stattfand und A. dort mit dem Tatvorwurf konfrontiert wurde, weiß man laut dem Oppositionspolitiker bis heute nicht. Und der nächste Kontakt mit einer Psychologin habe wohl erst am 3. September stattgefunden, also fast zwei Monate später. Und sie sah plötzlich keinerlei Suizidgefahr mehr.

Viel Zeit räumt Wolf den Ministern für den geforderten Bericht nicht ein: „Das sollte sehr zügig gehen.“ Denn nach der Herbstpause wolle man in die politische Bewertung einsteigen – und auch klären, ob ein Untersuchungsausschuss, den Wolf bereits im Plenum angedroht hatte, notwendig ist. Es sei „das letzte und schwerste Instrument“ des Parlamentarismus, erklärt Wolf. Noch deutlich zügiger sollte feststehen, ob die Staatsanwaltschaft auch gegen Mitarbeiter des Justizvollzugs ermittelt. Die Brandursache ist derweil noch ungeklärt: Auf Anfrage sagte ein Sprecher in Kleve am Donnerstag, man warte auf das externe Gutachten. Laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ gibt es neue Zweifel an der Suizidtheorie: Laut einem Bericht, der dem Justizministerium vorliege, hatte der Syrer doch am Abend des Brandes die Gegensprechanlage seiner Zelle aktiviert, wollte so vielleicht Hilfe rufen.

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