Tanzhaus: Gefangene spiegeln die Freiheit

Lang-Choreografie erzwingt beim Zuschauer eine Meinung.

Düsseldorf. Sie sind schon da, wenn der Zuschauer den Saal betritt. Und sie bleiben auch dort, wenn er ihn wieder verlässt. Vier Tänzerinnen (Mié Coquempot, Anne Laurent, Verena Tempel, Nina Louise Vallon) verharren in einem Kasten, der sich fahl aus dem Dunkel heraushebt. Seine vier Seiten sind mit Öffnungen versehen, durch die das Publikum auf das Geschehen blickt.

Elektronische Geräusche fluten den Raum, und zeitlupenhaft setzt das Quartett sich in Bewegung. Ein Arm hebt sich, der Körper streckt sich. Den Blick auf die jeweils gegenüberliegende Wand gerichtet, gleitet das Quartett in einem strengen Karree durch den Kasten.

Der Abend zitiert zwar Texte von Jorge Luis Borges, erinnert jedoch eher an Stücke Samuel Becketts. "Infinite temporal series II" nennt die australische Choreografin Prue Lang ihre Tanzinstallation, die sich als Kaaba der Wahrnehmung beschreiben lässt. War es zunächst der Raum, der die Bewegung der vier Tänzerinnen strukturiert, so ist es plötzlich das Licht. Das Tempo verschärft sich, ein kleines luzides Rechteck auf dem Boden knäuelt das Quartett regelrecht zusammen.

Es gibt keinen Stillstand, die Bewegungen fließen unaufhörlich ineinander; mal wird die Geschwindigkeit variiert, dann zwingen sich die Tänzerinnen durch Berührungen zu Richtungsänderungen, Finger formieren sich zu einer Pistole, Hände zu Krallen. Prue Langs abstrakte Installation spielt dabei ein dialektisches Spiel.

Die Freiheit der Zuschauer, um den Kasten herumzuflanieren, spiegelt sich in der Gefangenschaft der Tänzerinnen. Doch erst ihre Bewegungen schlagen den Betrachter in Bann und zwingen ihn zu einer Stellungnahme.

Dagegen wirkt die zweite Arbeit des Abends ziemlich konkret. "Study for a translucent network" ist ein Solo der Choreografin betitelt, das den Möglichkeiten zur Umnutzung tänzerischer Energie nachgeht. So gibt es in Rotterdam bereits eine Disco, in der das Schwingen des Bodens in elektrischen Strom umgewandelt wird.

Das Anliegen ist ernsthaft, doch Prue Lang nimmt es mit Humor. Auf der Bühne ist ein Parcours aufgebaut. Zuerst geht es durch eine kleine Schleuse, dann folgt das wilde Strampeln auf einem Ergometer, eine Taschenlampe erzeugt beim Herumschleudern Licht und dann folgt der Abstieg in die Hölle der Kalorien: In der Mitte der Bühne lockt ein Koordinatenkreuz aus Keksen. Erst als Prue Lang genüsslich kaut, kehrt die Ruhe in ihren Körper zurück. Doch dann geht alles wieder von vorne los. Nachhaltigkeit kann ja so anstrengend sein!

Aufführungen: Samstag, 19 und 20 Uhr, Tanzhaus NRW, Erkrather Straße 30, 60 Minuten, Karten: 0211/ 1727041.

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