Tanzhaus NRW: Brandschutz als Geburtstagsgeschenk

Zum 40. Jahrestag des Tanzhauses NRW sprachen wir mit Leiterin Bettina Masuch.

Düsseldorf. Das Tanzhaus NRW in Düsseldorf feiert Jubiläum: Vor 40 Jahren wurde es als soziokulturelles Zentrum gegründet, seit 20 Jahren ist es im ältesten Straßenbahndepot Deutschlands untergebracht. Künstlerisch bietet es state of the art. Baulich leidet es unter einem dramatischen Sanierungsstau.

Frau Masuch, wie geht es dem Geburtstagskind?

Tanzhaus NRW: Brandschutz als Geburtstagsgeschenk
Foto: Katja Illner /Tanzhaus NRW

Bettina Masuch: Gut, sehr gut.

Es gab eine Online-Petition an den Oberbürgermeister — soeben hat der Kulturausschuss der Stadt Geld für Sofortmaßnahmen bewilligt.

Masuch: Erfreulicherweise sind wir jetzt in einem konstruktiven Gespräch. Die dringendsten Maßnahmen gehen wir jetzt an: Die Brandschutz- und die Schließanlagen, die nicht mehr mit den Auflagen der Feuerwehr vereinbar sind, sanieren wir jetzt. Das ist schon mal ein schönes Geburtstagsgeschenk und eine Anerkennung der Relevanz unserer Arbeit seitens der Stadt.

Wie zukunftsfähig ist das Haus? Viele klagen über instabiles Wlan, eine Residenzkünstlerin ist gehbehindert, aber das Gebäude nicht behindertengerecht. Das Dach ist undicht.

Masuch: Wir haben eine lange Liste von Maßnahmen. Die Zusammenarbeit mit der Choreografin und Tänzerin Claire Cunningham haben wir genutzt, um mit ihr durchs Haus zu gehen und unsere Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung zu prüfen. Außerdem: Wir haben nur eine einzige Künstlergarderobe. Wenn Kompanien im Haus gastieren, die vorher etwa in der Pariser Oper waren, ist es schwierig, ihnen zu erklären, dass wir die Garderoben für Männer und Frauen räumlich nicht trennen können. Unsere Techniker sagen, künstlerisch sind wir Bundesliga, technisch nicht mal Regionalliga.

Heute gibt es nach dem Düsseldorfer Vorbild an vielen Orten in der Welt vergleichbare Einrichtungen. Was macht das Tanzhaus NRW einzigartig?

Masuch: Seine Geschichte ist so einzigartig. Sie ist tief verwurzelt in der Stadt — und das über mehrere Generationen. Viele Menschen haben hier einen großen Teil ihrer Freizeit zugebracht. Das haben wir auch an den unzähligen, teils berührenden Kommentaren zu der Online-Petition bestätigt gesehen.

Auch die Konzeption ist einzigartig . . .

Masuch: Absolut. Die DNA des Hauses ist einmalig: Kunstproduktion, das kulturelles Bildungsprogramm in der Akademie sowie die Aktivitäten des Jungen Tanzhauses. Das gibt es in dieser Vielfalt hierzulande nicht noch einmal.

Ursprünglich wurde die Einrichtung für die Fortbildung von Laien gegründet . . .

Masuch: Das geschah aus dem damaligen Zeitgeist „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und „Jeder Mensch ist ein Tänzer“. Etwas von diesem Spirit haben wir uns bewahrt: Es bestehen so viele Möglichkeiten, sich mit Tanz auseinanderzusetzen. Man kann sich in den Zuschauerraum setzen oder selber tanzen. Mittlerweile gibt es auch die vielen partizipativen Formate, bei denen Künstler und Publikum sich begegnen.

Vor vier Jahren haben Sie die Leitung von Bertram Müller übernommen. War es schwer, gegen den großen Schatten Neues durchzusetzen?

Masuch: Das war natürlich eine Herausforderung: der erste Leitungswechsel überhaupt. Der Gründungsintendant verlässt nach 35 Jahren das Haus. Es war eine Auseinandersetzung — mit mir, mit dem Team, den Künstlern und auch den Besuchern. Die Umgewöhnung, die vor allem Veränderungen in der Programmatik bedeutet, ist noch nicht wirklich abgeschlossen. Zum Geburtstag möchte ich aber sagen: Wir haben die Stabsübergabe alle miteinander hinbekommen.

Die Zeiten haben sich geändert: Der (gesellschafts-)politische Tanz jenseits schöner Ästhetik ist längst im Zentrum der zeitgenössischen Kunst angekommen. Workshops mit Parkinson-Patienten stehen neben Samba-Kursen im Akademie-Programm. Wie nimmt das Publikum das Angebot an?

Masuch: Sehr dankbar. Die veränderten Akzente haben damit zu tun, dass sich unsere Zeit verändert hat. Wir leben in lauter Krisen: Flüchtlingskrise, Umweltkrise, Syrienkrise — immer verbunden mit einer medialen Aufregung. Mit der neuen Programmatik ist unser Publikum heterogener geworden. So haben wir auf unserer Straße ein Heim für Geflüchtete. Die Menschen sind in unsere Vorstellungen gekommen. Plötzlich hatten wir ganz andere Diskussionen über die Werte, die auf der Bühne vermittelt werden.

Das beschäftigt natürlich auch die Künstler . . .

Masuch: Ja. Sie fragen sich auch, welchen Stellenwert der Körper heute hat. Sie denken darüber nach, welche Tänzer sie auswählen, was es aussagt, wenn die immer jung, schön, weiß und fit sind. Was bedeutet es, wenn ich mit Tänzern arbeite, die eine körperliche Einschränkung haben? Ist das schon ein Statement? Oder nur Abbild unserer Realität? Es ist wichtig, dass der Tanz sich damit beschäftigt. Die Relevanz von Tanz als Kunstform ist früher immer abgetan worden. Große politische Aussagen schrieb man in der Vergangenheit dem Sprechtheater zu. Das ist vorbei.

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