Silvester Gala Ein Ballett zu Silvester

Düsseldorf · Silvesterabende haben eine ganz eigene Stimmung. Insbesondere wenn man sie am Opernhaus beginnt.

 „The Concert“ von Jerome Robbins bildete das Finale der Silvestergala am Opernhaus Düsseldorf.

„The Concert“ von Jerome Robbins bildete das Finale der Silvestergala am Opernhaus Düsseldorf.

Foto: Gert Weigelt

Auf dem Weg in das Opernhaus stellt sich ein sonderbares Gefühl ein. Wie ein in Zeitlupe laufender Film, der doch in schnellen Bildern vor dem inneren Auge flimmert, flackern Schlaglichter in Erinnerung gebliebener Momente des zu Ende gehenden Opernjahres vorbei. An diesem Abend fühlt es sich anders an, in das Opernhaus an der Heinrich-Heine-Allee zu gehen. Wie kleine Akzente pochen verfrühte Böller aus allen Ecken der Stadt. Schon lauert das neue Jahr auf Düsseldorfs Straßen, Parks und Plätzen. Doch wabern noch die verbrauchten letzten Stunden von 2018 durch unsere Stadt. Aus diesen beiden Energien erwächst eine brisante Mixtur, eine Mischung aus erwartungsvoller Aufregung, Rückschau und einem feierlichen Grundton, der das Entgleisen seiner prickelnden Heiterkeit schon tief in sich trägt.

Fast alle Menschen auf der Straße sind auf dem Weg, auf dem Weg zu diesem oder jenem Ort, an dem sie den Jahreswechsel verbringen wollen. Manche von ihnen in das Opernhaus, machen dort Station für gut zwei Stunden, um sich auf ihren Silvesterabend einzustimmen. Das Opernhaus verspricht mit ihren warm leuchtenden Lichtern, Stunden losgelöst von der Zeit. Wie eine Zeitblase, ein Innehalten, bevor das alte Jahr verblasst und das neue mit lautem Krach seinen Weg in unsere Fantasie bahnt, ist die kunstvolle Scheinwelt der Oper.

Und diese Welt gehört an diesem Abend ganz der stilisierten Bewegung aufgeladen mit Bedeutung mit und gegen die Musik. Das Schild an der Seite des Opernhauses wirkt fast wie ein Bollwerk gegen das wuselige Treiben um das Haus herum – in großen Lettern steht dort: Gala –, was dahintersteckt, ist die Silvestergala des Balletts am Rhein. Das Haus ist ausverkauft. Und ein jeder kann sich willkommen fühlen. So mischen sich auch die unterschiedlichsten Menschen in den Foyers des Hauses. Was sie eint, ist, dass sie ihren Silvesterabend, zumindest in Teilen, den vielen zahllosen Machern des Opernhauses anvertrauen, sich Gedanken gemacht, Entschlüsse gefasst und diese umgesetzt haben. Sie haben sich Karten gekauft, zu Hause ein jeder auf seine Art in Schale geschmissen, voller Vorfreude den Weg zum Opernhaus eingeschlagen. Hier ein Smoking, dort die Kleid gewordene Verheißung auf einen lodernden Party-Abend, intellektuelles Schwarz gesellt sich nonchalant zu der großen Robe, der Sonntagsanzug zum cool offen gelassenen Hemd.

Doch alle diese Äußerlichkeiten sind nicht wichtig. Spiegeln sie auch auf gewisse Weise die Mischung der Erwartungen, der Gefühle und Gedanken wider, die an diesem Abend in dem Opernhaus aufeinandertreffen. Doch so unterschiedlich sie alle im Grunde glauben zu sein, mit ihrer Cola, ihrem Champagner, dem Wein, dem Wasser, wenn sich die Lichter des Zuschauerraumes verdunkeln, sind sie alle gleich. Sind sie vielleicht wie kleine Kinder, die mit großen Augen, offenen Ohren und neugierig pochendem Herzen einem Bühnenzauberer zuschauen. Dieser Bühnenzauberer ist das Opernhaus, alle die Menschen, ob jung oder alt, Künstler oder Techniker, Tänzer oder Musiker, gute Fee oder wachender Schlüsselmeister, die an diesem Abend arbeiten, um den Menschen auf der anderen Seite des Vorhangs einen unvergesslichen Abend zu schenken.

Der erste Ton aus Schläpfers Marsch, Walzer, Polka erklingt, die erste Bewegung kunstvoll gespannter Körper mischt sich in den Klang. Die Düsseldorfer Symphoniker spielen fast, als hätten sie im Geiste kurz in Wien Halt gemacht, auf ihrer Reise nach Ungarn, wo sie am 1. Januar Haydns Schöpfung spielen. Den Taktstock schwingt Christoph Altstaedt und entlockt dem Orchester „an der schönen, blauen Donau“ oder auch eine „Annen-Polka“ mit Esprit, wie es sich gehört.

Auf der Bühne ein tänzerischer Kommentar, ein ironischer Blick auf das, was musikalisch so schwelgerisch daherkommt. Aber doch so ernst, das Auflachen, belustigt sein, verkehrt sich – Silvesterballett im besten Sinne: ein Tanz am Abgrund in der Hoffnung, dass am Rande des alten Jahres dann doch noch das Neue wartet, um einen aufzufangen. Und in der Tat wird das Publikum mit Remus Sucheanăs „Romanze“ aufgefangen. In einem so sanften – fast so gentil, dass man nicht daran glaubt – Pas de deux getanzt von So-Yeon Kim und Eric White. Auf einem weichen Bett aus Chopins Klavierkonzert Nr. 1 dahingleitend. Ballett, wie es das vielleicht heute gar nicht mehr gibt?

Und dann bevölkern zwei Mönche und eine Nonne die Bühne. Von Band erklingen Teile von Bachs Goldberg-Variationen. „Mönche und Nonne“, ein Trio für Marlúcia do Amaral, Marcos Menha und Alexandre Simões ist wohl das enigmatischste Werk dieses Abends. Gegensätzlichkeiten, zwei Seiten der gleichen Medaille. Leidenschaft, die gezügelt, himmlische Höhenflüge, die gebrochen, Sehnsucht, die nicht erfüllt werden kann. Zugleich Anmut in all seiner Varianz. Auch eine Anmut, die einem bisweilen das Schaudern in die Knochen treiben mag. Umrahmt von Bachs Musik der Song „Is this it?“ von Asaf Avidan. Umrahmt von Klang, die Bewegungskunst der drei Tänzer, die berührt.

In den Pausen geistern die Reminiszenzen des gerade Gesehenen durch so manche Köpfe, hier und da wird schon vielleicht auch auf das nahende neue Jahr angestoßen – und dort ein hektischer Blick auf die Uhr. Man wird nach der Gala erwartet, die Silversternacht wird weitergehen. Doch bevor dies geschieht, erwartet die Festgäste dieses Abends noch ein absoluter Höhepunkt: „The Concert or, the perils of everybody“ von Jerome Robbins, der 2018 100 geworden wäre. Ein so wunderbarer Gruß aus der Ballett-Welt Amerikas aus dem Jahr 1956. Schaut her, das seid ihr, zwinkerte diese Choreografie voller feinem Humor und einem ordentlichen Schuss Melancholie dem amerikanischen Publikum zu. Und heute funktioniert das auch in Düsseldorf. Weil wir Menschen nun mal im Kern uns nicht wirklich ändern und herzlich lachen, wenn man unsere geheimen Marotten, unsere Ängste oder auch unser Bild von uns auf spitze Weise vor die Augen führt. Und all das verpackt in pudrigem 50er-Jahre-Stil. Dann war der Zauber auch schon vorbei und jeder ging seines Weges, um heiter sagen zu können: Prost Neujahr!

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