Auszeichnung Der Düsseldorfer Literaturpreis geht an Jackie Thomae für ihr Werk „Brüder“

Düsseldorf · Ihr Buch über zwei ungleiche Brüder, die in der DDR aufwachsen, stellt die Frage nach Identität. Und verzichtet auf erwartbare Handlungsstränge.

 Die Journalistin Jackie Thomae wird am 27. Mai in Düsseldorf ausgezeichnet.

Die Journalistin Jackie Thomae wird am 27. Mai in Düsseldorf ausgezeichnet.

Foto: Claudia Hötzendorfer

Zwei Biografien, zwei Lebensentwürfe, erzählt über vier Jahrzehnte. Das sind die Eckdaten von Jackie Thomaes Roman „Brüder“, für den die Autorin am 27. Mai den Düsseldorfer Literaturpreis bekommt.

„Ich wollte über Themen schreiben, die meine Generation bewegen und dabei unterhalten“, erklärt Jackie Thomae die Motivation für ihren inzwischen zweiten Roman. Dabei ließ die Autorin eigene Erfahrungen in die verschiedenen Handlungsstränge einfließen.

Die „Brüder“ im Titel vereint, dass sie den gleichen Vater haben, einen aus dem Senegal stammenden Arzt. Der studierte in den 1970ern in der DDR Medizin. Als er zurück in die Heimat ging, ließ er gleich zwei schwangere Frauen zurück. Eine lebte in Leipzig, die andere in Berlin, ohne voneinander zu wissen. Auch Thomaes Vater kam in den frühen 1970ern nach Leipzig, um dort zu studieren. „Das war damals völlig normal. Kaum jemand weiß im Westen, dass man in der DDR studieren konnte, auch wenn man nicht aus den Ostblockstaaten kam“, stellt sie klar.

Mick und Gabriel heißen die Sprösslinge aus diesen Beziehungen in ihrer fiktiven Geschichte, die sich nicht kennen lernen werden, deren Lebensentwürfen Jackie Thomae auf rund 430 Seiten von einer Kindheit in der DDR bis nach London, Paris und Südamerika folgt.

Ihr erstes Buch hat die Journalistin 2008 geschrieben

Die 1972 in Halle an der Saale geborene Thomae verbrachte ihre Kindheit zunächst in Leipzig, um dann im Schmelztiegel Berlin ihre Jugend zu erleben. Der Stadt ist sie bis heute treu geblieben.

Ihren ersten Ausflug in die Welt der Bücher unternahm die Journalistin 2008. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Heike Blümner veröffentliche sie „Eine Frau – ein Buch“, als augenzwinkernde Bestandsaufnahme und Ratgeber eigentlich für beide Geschlechter. Schließlich verriet es „mehr Geheimnisse als die beste Freundin“ über Frauen, wie im Vorwort zu lesen war. Welcher Mann würde da nicht doch mal neugierig reinblättern?

Das Debüt – Sachbuch und Ko-Autorenschaft – war eigentlich eine sichere Sache. Es wurde ein Bestseller. Da lag die Messlatte schon mal ziemlich hoch für das nächste Buch. Würde es genauso erfolgreich werden? Anders als erwartet, legte Jackie Thomae kein weiteres Sachbuch nach und ließ sich erst einmal Zeit, bevor sie wieder als Autorin in Erscheinung trat.

Knifflig wird es immer dann, wenn sich ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin anschickt, das erste belletristische Werk in die Welt hinaus zu lassen. Für Jackie Thomae war es 2015 soweit. Diesmal ohne kollegiale Unterstützung erschien der Episodenroman „Momente der Klarheit“. Das nun literarische Debüt beeindruckte so sehr, dass Jackie Thomae 2017 zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb eingeladen wurde. 2019 schaffte es der Nachfolger „Brüder“ auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, für den die 47-jährige nun den mit 20 000 Euro in Deutschland höchst dotierten Düsseldorfer Literaturpreis erhält. Den vergibt die Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf in diesem Jahr bereits zum 19. Mal. Jackie Thomae reiht sich damit ein in die Riege von Preisträgern wie Karen Duve (2018), Jürgen Becker (2007) oder Christoph Peters (2004).

Der Roman liest sich als Plädoyer für die Freiheit des Individuums, selbst zu entscheiden, wie und in welchem Maß Herkunft und Hautfarbe seinen Lebensweg bestimmen. Dabei erzählt Jackie Thomae so, als säße man mit ihr zusammen und unterhalte sich. Ein Sprachstil mit einem ganz besonderen Sound, locker, mitreißend und dabei das Milieu spiegelnd, in dem die jeweilige Passage spielt. Genau das gibt den verschiedenen Handlungssträngen die nötige Dynamik.

Ein Happy End ist in der Erzählstruktur nicht zu erwarten

Zu Beginn des Buches lernt man Mick kennen. Ihm folgt Thomae durch seine Jugend in den 1980ern in der DDR bis zur Wende auf der Suche nach Identität, als Sohn eines Senegalesen. Als der Leser ihn verlässt, „ist er gerade dabei, sein Leben vor die Wand zu fahren“, so Thomae. Es folgt ein Sprung in die 2000er Jahre. Im zweiten Teil konzentriert sich die Autorin auf Micks Halbbruder Gabriel, der inzwischen in London lebt und als Architekt Karriere macht. Auch er steht an einem Wendepunkt, der seinen weiteren Weg markieren wird. „Ich wollte ihm eine andere Perspektive geben und habe dafür die Ich-Form gewählt“, plaudert die Autorin aus ihrer Schreibwerkstatt. Das habe sie aber eingeschränkt. Um ihrer Romanfigur etwas näher zu kommen, lässt sie passagenweise seine Freundin Fleur zu Wort kommen. „Sie kann das berichten, was ich den nüchternen Gabriel nicht selbst reflektieren lassen konnte“, erklärt die Autorin.

Ausgangspunkt für ihren zweiten Roman war für Jackie Thomae die Frage: Wie werden wir, was wir sind? Ihre beiden Protagonisten könnten unterschiedlicher kaum sein. Allein die Hautfarbe, die sie von ihrem Vater haben, verbindet sie. Beide am gleichen Tag in Deutschland geboren, haben sich ihre Leben völlig anders entwickelt. Und doch trieben sie am Ende die gleichen Fragen um. Insbesondere die nach der Identität.

Das Ganze packt Thomae zwischen zwei Buchdeckel auf eine intelligente, humorige Art, unterhaltsam geschrieben und wie bereits in ihrem Sachbuch-Besteller „Eine Frau – ein Buch“, auf eine bestechend coole Art auf den Punkt gebracht. Wer nicht dabei war, es nicht miterlebt hat, bekommt nun die Gelegenheit, in Mick und Gabriel hinein zu spüren. Folgt den beiden durch die Höhen und Tiefen ihres Alltags. Erlebt gute und schlechte Entscheidungen, die Weichen für den weiteren Weg stellen werden.

Die Autorin ist im Gespräch locker. Sie ist auch Journalistin und – soviel ist klar - ein Medienprofi. Sie schreibt fürs Fernsehen und weiß, wie ein szenischer Text aussehen sollte. Das half bei der Arbeit am Roman sicherlich, der Geschichte Dynamik zu geben und ihr Buch somit auch für ein Publikum interessant zu machen, das sich wohl sonst nur zögerlich auf Literatur einlässt, die von der Kritik in den Feuilletons hoch gelobt wird.  Ein gelungener Generations- und Gesellschaftsroman, der zu Recht mit dem Düsseldorfer Literaturpreis ausgezeichnet wird.

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