Interview: Ideologie ist das Problem

Jürgen Vogel spielt in dem Film „Die Welle“ einen Lehrer, der mit seinen Schülern ein gefährliches Experiment wagt.

Düsseldorf. Herr Vogel, Herr Gansel, waren Sie in Ihrer Jugend auch Teil einer Clique, die gefährliche Tendenzen hatte?

Vogel: So sieht man das ja nicht. Man sieht es nicht als Zwang, sondern man gehört einfach zu einer bestimmten Gruppierung und sieht es nicht als etwas Schlimmes an.

Gansel: Ich war mit 14 in einer Skaterclique, die von Rechtsradikalen unterwandert wurde. Ich bin zwar irgendwann ausgestiegen, habe das aber eine Zeit lang mitgetragen, weil ich dazu gehören wollte.

Gibt es ein Verhalten, für das Sie sich im Nachhinein schämen?

Gansel: Alleine schon die Tatsache, mit dabei gewesen zu sein, und Leuten, die anfingen, über Ausländer Witze zu reißen, nicht sofort den Mund zu verbieten, sondern teilweise sogar mitzulachen. Ich habe mich damals allerdings so verloren gefühlt, dass ich da Anschluss gesucht habe.

Vogel: Ich weiß noch genau, warum ich mit solchen Leuten abgehangen habe. Aber das will ich nicht mehr rückblickend bewerten. Man muss eher versuchen, herauszufinden, wie man Dinge verhindern kann und die Jugend darin fördert, Entwicklungen zu hinterfragen.

Im Film sind bei der "Welle" zuerst auch positive Effekte wie Zusammenhalt, Vertrauen und Leistungswille erkennbar. Dann kippt die Situation: Wer nicht mitmacht, wird Repressalien unterworfen. Wo liegt die Grenze zwischen positiver und negativer Gruppendynamik?

Gansel: So intellektuell haben wir das gar nicht auseinander genommen. Wir haben vielmehr ins Leben geguckt, wie so etwas abläuft, und das dann im Film geschildert. Man muss ja nur mal auf Klassenfahrt fahren oder in Sportvereine schauen - oder Stichwort WM. Ich meine, was war denn da los? Wir haben geschrieen, uns Deutschlandfahnen ins Gesicht gemalt, hallo?

Vogel: Ja, wer hätte das gedacht, dass ich eine Deutschlandfahne an mein Auto hänge. Ich komme ja eher aus so einer Zeit, in der man Begriffe wie "Deutschland" und "Stolz" nicht in einem Satz erwähnte.

War das, was sich auf Deutschlands Straßen im Sommer 2006 abspielte, also eine positive Gruppendynamik?

Wie kann man solche Entwicklungen dann verhindern?

Vogel: Man muss einen Weg finden, wie man fühlbar macht, was genau an einer Diktatur gefährlich ist. Im Film wirkt "Die Welle" zunächst ja eher unpolitisch: Es geht um Zusammenhalt, darum, etwas gemeinsam gegen die Ellenbogengesellschaft zu unternehmen. Das sind Dinge, die wir alle ändern wollen. Problematisch wird es, wenn solche Ziele zur Ideologie werden.

Was sind die Symptome?

Vogel: Sobald jemand meint, etwas Besseres zu sein, nur weil er Teil der Gruppe ist.

Im Film dauert es sechs Tage, bis "Die Welle" von totalitären Strukturen unterwandert ist. Geht das nicht zu schnell?

Gansel: Betrachtet man das authentische Projekt, auf dem der Film beruht, dauerte es nur fünf Tage, bis das Experiment abgebrochen werden musste. Damals waren es 1200 Schüler von drei Highschools, bei uns ist es nur eine Schule, davon auch nur die Oberstufe mit 150 Schülern.

Sie schildern auch lediglich kleine Gängeleien unter den Schülern, keinen organisierten Überwachsungsterror, wie er sich während des Originalprojektes entwickelte.

Gansel: Wir haben bestimmte Dinge, obwohl sie dem Original näher kämen, bewusst runtergedampft. Manchmal ist die Fiktion glaubwürdiger als die Realität.

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